: Avocados aus Jaffa und der kalte Frieden
Ägypten und Israel schlossen vor zwanzig Jahren Frieden. Trotzdem sind die Menschen beider Länder wie ehedem verfeindet. Zwei Drittel der Ägypter kauft beispielsweise keine israelischen Waren. Eine Initiative von unten aus Ägyptern und Israelis schickt sich nun an, die Gesellschaften einander näherzubringen. Hintergründe ■ von Sonja Hegasy
Es ist ein kalter Frieden – trotz des Friedensvertrages zwischen Israel und Ägypten vor nunmehr zwanzig Jahren.
Eine erste Friedensdividende brachte nur der Tourismus. Als Israel 1982 den letzten Rest der Sinaihalbinsel geräumt hatte, fand Ägypten dort eine moderne touristische Infrastruktur vor. Heute gibt es eine Vielzahl von Israelis, die entweder auf den Spuren Moses' durch den Sinai reisen oder zum Tauchen ans Rote Meer fahren. Von Taba bis nach Sharm el-Sheikh säumt ein Feriendorf nach dem anderen die Küste. Es gibt einzelne Anlagen, die exklusiv von Israelis genutzt werden, aber in anderen begegnet sich die Jugend aus beiden Ländern.
Langsam zog auch die Geschäftswelt nach; deren Projekte wurden jedoch möglichst diskret betrieben, wenn nicht gar geheimgehalten. Dieses Jahr soll beispielsweise eine Gaspipeline zwischen Israel und Ägypten eröffnet werden. Man kann zwar israelische Avocados in Ägypten kaufen, aber wenn man beim Gemüsehändler nachhakt, so versichert er trotz leuchtend gelben Jaffa-Aufklebers, sie kämen aus dem ägyptischen El-Arish.
Ebensowenig möchte man Aufsehen erregen mit den ungefähr 30.000 in Israel beschäftigten Ägyptern, die den enormen Bauboom bedienen. Nach Angaben der ägyptischen Menschenrechtsorganisation EOHR gibt es auch noch neun ägyptische Kriegsgefangene in Israel. Am 10. Februar diesen Jahres wurde einer von ihnen, der 74jährige Mahmud al-Sawarka, nach 21 Jahren Haft freigelassen.
1994 führte das unabhängige Forschungsinstitut al-Mishkat' eine der wenigen Meinungsumfragen in Ägypten durch. Sie ergab, daß 52 Prozent dagegen waren, daß Israelis ihr Land besuchen; mehr als zwei Drittel kaufen keine israelischen Waren; drei Viertel kritisieren, daß Israel Fabriken in Ägypten baut, und 62 Prozent gaben an, nie nach Israel fahren zu wollen.
In den vergangenen zwei Jahrzehnten haben es die beiden Gesellschaften nicht geschafft, einander näherzukommen. Es gibt keinen Schüleraustausch, keine Städtepartnerschaften, geschweige denn einen Kulturaustausch. Im Gegenteil: antiisraelische Filme wie „48 Hours in Israel“, in dem ein ägyptischer Spion vom israelischen Geheimdienst Mossad von Griechenland nach Israel verschleppt wird (dort „zum Glück“ aber nur 48 Stunden im Koma verbringen muß), sind beliebt.
Die meisten der arabischen Intellektuellen meiden wissenschaftliche Tagungen in Israel. Im Kampf um die Rechte des palästinensischen Volkes wollen gerade sie keine bilateralen Lösungen unterstützen, solange keine allumfassende Friedenslösung gefunden wird. Ägyptens Separatfrieden von 1979 verurteilen sie scharf.
Vor zwei Jahren scherten einige Intellektuelle erstmalig aus und trafen sich mit Israelis in Dänemark. Prompt sahen sie sich mit einer haßerfüllten Kampagne konfrontiert: So bezeichnete die Professorin für englische Literatur, Radwa Ashour, diese menschliche Annäherung als eine neue Form „biologischer Kriegsführung“.
Was war passiert? In Kopenhagen hatten sich damals Ägypter, Israelis, Palästinenser, Jordanier und Europäer unter der Schirmherrschaft der dänischen Regierung getroffen, um analog zu den Regierungsverhandlungen in Oslo eine Friedensinitiative von unten zu gründen.
Der Friedensprozeß von Camp David über Madrid (1991) bis Oslo (1995) war in erster Linie ein Regierungsgeschäft gewesen, aber nie sonderlich populär bei der Bevölkerung. Die Teilnehmer der Allianz von Kopenhagen wollten nun Kontakte von Bürger zu Bürger knüpfen. Araber und Israelis sollten erkennen, daß hinter ihren stereotypen Feindbildern Menschen mit unterschiedlichen Meinungen stecken.
Wer weiß schon in der arabischen Welt, daß ein Großteil der Israelis für den Rückzug ihrer Militärs aus allen 1967 besetzten Gebieten ist? Es ist ein Novum, wenn Mitglieder der israelischen Friedensbewegung „Peace Now“ bei einem Treffen in Kairo mit den ägyptischen Teilnehmern der Allianz von einem israelischen Offizier vertreten werden, der an vier Nahostkriegen teilgenommen hat. Heute treffen sich Ägypter und Israelis in unregelmäßigen Abständen, um Aktionen vorzubereiten.
Diese Hinwendung hat auch mit Israels Gesellschaft zu tun, die sich während der vergangenen zehn Jahre verändert hat. Die Jungen wollen nicht immer nur von Politik reden und ständig mit einem Attentat rechnen müssen; die Älteren fürchten eine weitere Brutalisierung der Gesellschaft. Israel hat seit seiner Gründung in jedem Jahrzehnt einen Krieg ausgefochten (1948, 1956, 1967, 1973 und 1982).
Diesen Israelis wollen die Initiatoren der Allianz von Kopenhagen signalisieren, daß sie nicht in einem vollkommen feindlichen Umfeld leben. Die arabische Seite hofft mit diesem Schritt, die israelische Friedensbewegung stärken zu können. Denn nur wenn die Israelis erkennen, daß Verständigung mehr Sicherheit birgt als jede sogenannte „Pufferzone“, wird der Friedensprozeß nicht enden.
Die ägyptischen Teilnehmer der Allianz von Kopenhagen, die sich inzwischen Kairoer Friedensgruppe nennen, müssen dem Widerstand ihrer Landsleute trotzen, die meinen, daß die Israelis ein breites Repertoire von Mitteln anwenden – Dialog, Verhandlungen, aber auch Attentate und Bombenangriffe –, um den Friedensprozeß letztlich zu verhindern. Als das Treffen von Kopenhagen in der ägyptischen Presse bekannt wurde, begann eine regelrechte Hexenjagd. Zwar waren die Teilnehmer auf Kritik vorbereitet, aber die Reaktionen waren überraschend hart.
Die verbale Hetzjagd gegen die Normalisierungsbefürworter wird von einer seltsamen Allianz aus islamistischen, nationalistischen und linken Intellektuellen geführt. Lotfy al-Kholy verließ den Vorstand der sozialistischen Tagammu-Partei, da ihm ein Parteiausschlußverfahren drohte. Al-Kholy, der nach 1979 immer die kompromißlose Antinormalisierungspolitik seiner Partei vertreten hatte, begründete sein Engagement damit, daß die arabische Öffentlichkeit wissen müsse, daß es auch Israelis gebe, die Netanyahus Politik verurteilen. Al- Kholy starb vor wenigen Wochen. In den Nachrufen zeigten sich einige seiner Kritiker beschämt über die Schmutzkampagne, mit der sie ihn überzogen hatten.
Tatsächlich ist das Klima, in dem die Initiative von Kopenhagen geboren wurde, das denkbar schlechteste für einen Dialog. Präsident Netanjahu hat die Atmosphäre derart vergiftet, daß jegliches Vertrauen in Zusagen oder Absichten auf der arabischen Seite verlorengegangen ist. Sie fragen sich ernsthaft, was Verträge in einer Demokratie noch zählen, wenn sie beim ersten Regierungswechsel null und nichtig sind. „Die einzige Demokratie im Nahen Osten“, wie Israel in Deutschland gerne genannt wird, zeigte sich als wackliger Kantonist in Sachen Außenpolitik. Die ägyptische Regierung respektiert die Aktivitäten der Allianz. Sie hat damit ein weiteres Spielbein für ihre eigene Außenpolitik gewonnen – was nicht zwingend bedeutet, daß die Allianz am offiziösen Gängelband hängt.
Den israelischen Teilnehmern wurde von ägyptischen Kritikern unterstellt, daß sie für den Mossad arbeiten. Couragiert konterte der Leiter der wichtigsten ägyptischen Denkfabrik, „al-Ahram Center for Political and Strategic Studies“, Abdel Moneim Said: „Wir untersuchen nicht die Biographien der Teilnehmer, um herauszufinden, welcher Sicherheitsdienst dahintersteckt. Aber wenn ein Mossad-Mann sich für einen palästinensischen Staat ausspricht, dann ist das genau die Art von Antwort, die wir haben wollen.“
Solche Sätze rühren am Selbstverständnis der arabischen Gesellschaften. Schließlich ist die politische und Alltagskultur von einem billigen Antisemitismus geprägt, dessen Niveau kaum zu unterbieten ist.
Da wird davor gewarnt, das Waschpulver „Ariel“ zu kaufen, denn der Name sei jüdisch und der Waschwirbel in der oberen linken Ecke der Packung sei der Davidstern. Auch eine ägyptische Imbißkette wurde beschuldigt, den Davidstern als Emblem zu führen. Steven Spielbergs Film „Schindlers Liste“ wurde nicht für das wichtige internationale Filmfestival in Kairo nominiert. Über die Verfolgung der jüdischen Bevölkerung in Europa kann ein arabischer Schüler nichts lernen.
Schmerz und Mitgefühl passen nicht in das Bild, das von den Israelis gezeichnet wird. Und so war es eine kleine kulturelle Revolution, als auf einem jüdisch-arabischen Symposium in Beirut im Sommer vorigen Jahres arabische Intellektuelle über den Holocaust referierten. Schließlich gibt es noch heute arabische Politiker, die sich nicht scheuen, in internationalen Zeitungen zu sagen, daß sie nicht an die Existenz der Krematorien glauben.
Der israelische Schriftsteller Yoram Kaniuk beklagte 1996 in einem Essay, daß angesichts der blutigen Selbstmordattentate in Israel nie auch nur eine mitmenschliche Regung aus der arabischen Welt gekommen sei. „Die Generäle schließen Frieden, während die Autoren Krieg führen. In diesem Paradox sind wir gefangen.“ Zu den wenigen arabischen Schriftstellern, die ihr Beileid offen bekundeten, gehörte der palästinensische Autor Emile Habibi, mit dem Kaniuk bis zu Habibis Tod 1996 eine tiefe Freundschaft verband.
„Frieden schließt man mit dem Feind“, schrieb der ägyptische Kolumnist Salah Bassiouni in der Zeitung al-Ahram. Ein Ausspruch, der vom israelischen Ministerpräsidenten Jitzhak Rabin bei den Friedensverhandlungen in Oslo getan wurde und auf Yoram Kaniuk zurückgeht. 1974 hatte dieser bemerkt, er würde lieber mit den Dänen Frieden schließen, „aber man muß nun einmal mit Feinden Frieden schließen“.
Es ist ein kleiner Erfolg, daß seit zwei Jahren Treffen zwischen der Kairoer Friedensgruppe und „Peace Now“ stattfinden, unbehelligt vom endlosen Auf und Ab der offiziellen Verhandlungen. Selbst ägyptische Kritiker der Friedensinitiative von unten räumen ein, ein positiver Beitrag der Allianz könne darin liegen, daß sie Klischees aufbrechen könne. Vielleicht wird man dann einmal ganz normal über Avocados aus Jaffa sprechen können.
Sonja Hegasy, 31, ist Deutsche und Ägypterin. 1996 promovierte sie mit einer Arbeit über „Staat, Öffentlichkeit und Zivilgesellschaft in Marokko“. Derzeit arbeitet sie am Zentrum Moderner Orient in Berlin.
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