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Von der Gulaschkanone direkt an die Wahlurne

■ Morgen wählen die FinnInnen ein neues Parlament. Schon jetzt steht fest, daß es eine Neuauflage der Regenbogenkoalition gibt. Wer den Regierungschef stellt, hingegen nicht

Helsinki (taz) – Zwischen U-Bahn-Station und dem „Einkaufszentrum Ost“ in Helsinki riecht es nach Erbsensuppe. Hier hat nicht die Heilsarmee eine Suppenküche aufgestellt, sondern Finnlands Sozialdemokratische Partei. Aus zwei großen Kübeln werden Portionen verteilt. Wer will, bekommt noch einen Schuß Senf dazu.

Die Geschmäcker in Finnland sind etwas anders, die Wahlbräuche wohl auch. Die Suppe soll nicht die Armen anlocken, damit die auch noch ein Stück der frommen Parteibotschaft mitbekommen. Das wäre denn doch eine zu armselige Bilanz von vier Jahren Regierung unter dem Sozialdemokraten Paavo Lipponen. Nein, die Suppe ist alte Wahltradition.

Und so kann sich Erik Mickwitz, sozialdemokratischer Wahlkreiskandidat, etwas Wahlkampf nicht verkneifen. Verteilt wird ein Flugblatt. Darauf ist die deutlichste Botschaft eine große „63“ – die Listennummer von Erik Mickwitz.

Seine Partei erhofft sich am Sonntag abend eine Fortsetzung der bisherigen „Regenbogenkoalition“ und eine Bestätigung ihres Kandidaten Paavo Lipponen als Ministerpräsident. Ersteres scheint wahrscheinlich, letzteres unsicher: Das Amt des Regierungschefs könnte auch an die konservative Sammlungspartei und damit an Finanzminister Sauli Niinistö gehen, falls diese den Sozialdemokraten den Rang als größte Koalitionspartei abläuft. Finnland wurde in den letzten vier Jahren von einer allumfassenden Koalition regiert. Sie umfaßte neben den beiden „Großen“, den Sozialdemokraten und der CDU-Schwester Sammlungspartei, auch drei kleine Parteien: die liberale Schwedische Volkspartei, die Grünen und den exkommunistischen Linksverband.

Die „Superregierung“ setzte zum einen finnische Politiktradition fort. Zum anderen war sie aber auch Resultat der schweren ökonomischen Krise von vor vier Jahren: 20 Prozent Arbeitslosigkeit, eine Wirtschaft, die den Wegfall des russischen Markts nicht verkraftet hatte und doch schnell euroreif gemacht werden sollte.

Das sollte laut Experten nur durch Grausamkeiten, wie Einkommenssenkungen für LohnempfängerInnen und radikale Streichungen öffentlicher Dienstleistungen möglich sein. Dieses Rezept konnte nur eine breite Koalition durchsetzen.

Die Wahljahre 1995 und 1999 lagen günstig für den sozialen Kahlschlag. Zwar ist man noch weit vom Ziel einer Halbierung der Arbeitslosenrate entfernt, aber ökonomisch geht es wieder aufwärts.

Schlimmeres verhindert zu haben und weiter verhindern zu wollen, so das Hauptargument des Linksverbands und auch vieler Sozialdemokraten, scheint nicht zu reichen, die WählerInnen zu motivieren. In der grünen WählerInnenschaft hat dagegen das Argument „Dabeisein ist alles“ gefruchtet, zumal sie sich auch mit ihrem Umweltminister Pekka Haavisto in Fragen wie dem Stopp weiteren Wasserkraft- und Atomkraftausbaus profilierten.

Damit, daß den Parteien morgen Scharen unzufriedener WählerInnen weglaufen, ist nicht zu rechnen. Vielmehr ist Wahlverweigerung die übliche Reaktion politikfrustrierter FinnInnen. Waren es vor vier Jahren 72 Prozent Wahlbeteiligung, droht die Quote diesmal auf 65 Prozent abzusacken. In nennenswertem Umfang Stimmen neu zu aktivieren wird nur dem Zentrum zugetraut, das als Opposition Unzufriedene anzusprechen.versucht Mit seinem Vorsitzenden und Ex-Ministerpräsidenten Esko Aho ist es auch die einzig EU-kritische Partei. Eine Mitte-rechts-Koalition von Zentrum und Sammlungspartei gebe es, wenn die WählerInnenverschiebung in diese Richtung dramatisch würde.

So wird sich weder Entscheidendes an der politischen Linie noch an dem Stärkeverhältnis von je einem runden Viertel der Stimmen für die drei „Großen“, Sozialdemokratie, Sammlungspartei und Zentrum, ändern. Um das restliche Drittel streiten sich 15 andere Parteien. Für die meisten KandidatInnen geht es vor allem darum, selbst den Sprung in denReichstag zu schaffen. Die WählerInnen sind gehalten, den Namen oder die Ziffer eines Kandidaten auf den Wahlzettel zu schreiben. Diese Stimme gilt für KandidatIn und Partei. Kein Wunder, daß der Wahlkampf sich hauptsächlich darum dreht, den WählerInnen die richtige Nummer einzutrichtern.

Juha Mustikallo ist unsicher: „Bei der Arbeitslosigkeit hat mich keine Partei überzeugt, auch nicht die Sozialdemokraten.“ Ein Argument, das „Nummer 63“ oft hört. „Ja“, seufzt Erik Mickwitz, „die sozialen Einsparungen haben uns schwer getroffen. Zu wählen heißt diesmal, sich für das geringste Übel zu entscheiden.“ Und seine Partei würde sich für den Fall, daß genug Luft im nächsten Budget vorhanden sei, für mehr Geld für RentnerInnen entscheiden und nicht für verstärkte Rückzahlung der Schulden. Und schon wartet die nächste Runde „Hernerokka“ mit „Sinappi“ wartet darauf, serviert zu werden. Reinhard Wolff

In der grünen WählerInnenschaft scheint dagegen dieses Mal das Argument „Dabeisein ist alles“ gefruchtet zu haben

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