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Mit dem „Bomber“ durch die Stadt

Fullies, die vollgefederten unter den Bikes, sind voll im Trend. Die modischen Drahtesel bieten dem gemeinen Alltagsstrampler zwar wenig Fahrkomfort, aber jede Menge Gaudi. Eine Probefahrt machte  ■ Eberhard Schäfer

Die martialisch anmutenden Räder heißen Manitou, Joshua oder Hot Chili – das klingt nach Wildem Westen. Und richtig, im Sonnenstaat Kalifornien, gleich hinter der Golden Gate Bridge, eierte im Jahre des Herrn 1974 ein Hippie namens Gary Fisher auf seinem Drahtesel herum. Er war unzufrieden. Das gemütliche Cruising war ihm zu langweilig geworden. Eines Tages kam ihm eine ebenso simple wie revolutionäre Idee. Er schob sein betagtes Cruiser-Bike einen Berghang hinauf. Oben angekommen, fegte er kurzerhand über Stock und Stein downhill. Geboren war das Mountainbiking, und nachdem Fisher an seinem Stahlroß einiges geschraubt und geschweißt hatte, war auch das Mountainbike erfunden. Es trat seinen Siegeszug um die Welt an.

Doch nicht jeder hat seine Freude an dem knochenharten Vehikel. Die bucklige Sitzposition ist nicht eben kommod, Handgelenke und Gemächte schmerzen häufig bereits nach kurzer Fahrstrecke. Vor einigen Jahren begannen die einschlägigen Hersteller (Gary Fisher gehört auch heute noch dazu), meist im Westen der USA ansässig, ihre dickrohrigen Geschosse zu zivilisieren, zumindest schien es dem nichtsahnenden Betrachter so. Die Fahrradschmiede bauten den Boliden Federungen ein, erst vorn, dann auch hinten. Diese vollgefederten Vehikel – natürlich nennt man sie in der Sprache der Erfinder Full-Suspension-Bikes – sind meist nach indianischen Göttern oder kalifornischen Wüstenpflanzen benannt, sehen aus wie Motorräder, denen man den Motor amputiert hat, und sind Sportgeräte erster Güte. Denn: Nicht Gemütlichkeit ist primäres Ziel der Aufrüstung, sondern Geländetauglichkeit.

Auch im härtesten Einsatz sollen die Räder nicht aus- und die Rahmen nicht zerbrechen. Nicht etwa zum Schutz des fahrerseitigen Gesäßes, sondern zur Schonung der Fahrzeuge wurden Federgabeln und Antriebsschwingen konstruiert. Höhepunkt des technischen Fortschritts ist derzeit eine Doppelbrückengabel mit bis zu 18 Zentimetern Federweg. Stark am Markt ist die italienische Werkstatt Marzocchi, deren Prestigeprodukt auf den zarten Namen „Bomber“ hört. Derart und mit je nach Risikobereitschaft individuell einstellbaren Federdämpfelementen ausgestattet, stülpen sich Gary Fishers Adepten Integralhelme über die Hirnschüsseln und brettern Hals über Kopf Skihänge hinunter. Der Speed-Weltrekord im Downhill- Rasen liegt derzeit bei ganzen 212 Stundenkilometern. Arme Alpen.

Nun hängen die kapriziösen Stahlrösser natürlich auch weit weg vom Berg heil in einschlägigen Ladengeschäften wie etwa FNC in Berlin-Charlottenburg herum. Was hat der gemeine Freizeitstrampler von den neumodischen Gefährten? FNC-Mitarbeiter Thomas Sischke fährt Rennrad. Mit geradezu geschäftsschädigender Häme zieht er über die Fully- Mode her „Manche Leute sind eben bereit, für unpraktische Geräte etwas mehr Geld auszugeben.“ Zweifellos sehen die Dinger schick aus, „aber für den Weg zum Bäcker reicht doch die alte Schwanenhals-Familienkutsche. Weiter fahren die meisten doch eh nicht.“ Allenfalls wenn man viel in „harten Gegenden“ mit brutalem Kopfsteinpflaster und überhohen Bordsteinen wie etwa Prenzlauer Berg unterwegs sei, lohne sich das Nachdenken über eine Anschaffung. Warnender Hinweis des Experten: Einmal im Jahr muß das Rad zur Wartung in die Werkstatt. Außerdem taugt das Fully kaum für die ökologisch wertvolle Exkursion ins Theater. Empfindliche Klamotten sind bedroht, denn Schutzbleche kann man ebenso vergessen wie das klassische Dynamo-Licht.

Aufgeschlossener steht man den Fullies beim Kreuzberger Händler Zentralrad gegenüber. Mitarbeiter Joachim Gronauer fährt selbst zwar ebenfalls Rennrad, und für den Weg zum Bäcker benutzt er eine Antiquität mit Fünfgang-Nabenschaltung, fast schon so klassisch wie die legendäre „Torpedo“-Dreigangnabe von Sachs. Gronauer verspricht für den Ritt auf dem Fully deutlichen Komfortgewinn. Die Probefahrt auf Kreuzberger Kopfsteinpflaster mit dem Einstiegsmodell „Joshua“ aus der Schmiede von Gary Fisher, erhältlich für 1.999 Mark, ist tatsächlich angenehm, Hintern und Handgelenke werden deutlich geschont. Ernüchterung stellt sich allerdings beim harten Antritt ein: Das Ding will nicht so recht in die Gänge kommen. Bauartbedingt kommt ein nicht unbeträchtlicher Teil der investierten Muskelkraft nicht der Beschleunigung, sondern der federnden Bewegung der Antriebsschwinge zugute. Ein Fahrzeug also, das man lieber bergab rollen läßt. Eine rechte Gaudi ist beispielsweise treppab holpern, was über 16jährige mit starrem Bike doch eher vermeiden. Wer etwas tiefer ins Portemonnaie greifen mag, kann bei Zentralrad Räder der rennommierten US-Firma Cannondale erwerben. Ab 2.790 Mark für das 1998er-Auslaufmodell, das nach Meinung Joachim Gronauers besser ausgestattet ist als das 200 Mark teurere 99er-Modell, kommt man in den Genuß einer speziellen Vorderraddämpfung namens „Headshok“. Federung und Dämpfung sind hier nicht wie üblich in der Gabel, sondern im Gabelschaft untergebracht. Das bringt präzisere Lenkeigenschaften und Gewichtsersparnis. Beim Proberitt treten auch hier die Vor- und Nachteile der Konstruktion zutage: bequemes Gleiten auf schlechter Strecke, aber träges Beschleunigungsverhalten. Das muß aber nicht so sein, verspricht Fahrradberater Gronauer: Man kann die Federung so hart einstellen, daß man meint, sie existiere gar nicht. Und wer es richtig gemütlich haben sowie die heimische Wirtschaft stärken will, kriegt beim Konkurrenten FNC selbstverständlich vollgefederte Versionen des guten alten Tourenrades aus solider deutscher Produktion.

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