: Neue Wege in der Gewaltprävention gesucht
■ Zwei Modellprojekte in Neukölln und Friedrichshain und elf bezirkliche Präventionsräte sollen Gewalt und Kriminalität im Vorfeld verhindern. Mit dabei ist auch eine grüne Bürgermeisterin
Im Gegensatz zu anderen Bundesländern wie Schleswig-Holstein befindet sich Berlin noch relativ am Anfang, was die Existenz von Foren gegen Gewalt angeht. 1994 wurde eine Landeskommission damit beauftragt, einen Maßnahmenkatalog zur Kriminalitätsprävention umzusetzen. Zu den Projekten, die das aus fünf Staatssekretären und der Ausländerbeauftragten bestehende Gremium in die Wege leitete, gehörte die „kiezorientierte Gewalt- und Kriminalitätsprävention in den Bezirken Friedrichshain und Neukölln“.
Um die Kinder und Jugendlichen von der Straße zu holen, setzte sich das Gremium unter anderem auch dafür ein, daß Jugendfreizeitheime am Wochenende geöffnet haben und Schulhöfe nachmittags zugänglich sind. Die vom Senat als Anschubfinanzierung zur Verfügung gestellten drei Millionen Mark für das Förderprogramm „Jugend mit Zukunft“ sind inzwischen verbraucht. Jetzt hofft man auf Lottogelder.
Dem Vorbild auf Landesebene folgten 1997 und 98 die Bezirke. Elf von insgesamt 23 Berliner Bezirken haben inzwischen einen Sicherheits- oder Präventionsbeirat gegründet. Vielfach waren es die Bezirksverordnetenversammlungen, die diesen Schritt als Reaktion auf in der Stadt geführte Debatte über zunehmende Gewalt und Null-Toleranz-Polizeikonzepte à la New York gefordert hatten.
Im Hinblick auf die unterschiedliche Sozialstruktur in den einzelnen Bezirken haben es die Räte mit verschiedenen Problemlagen zu tun. Im gutsituierten Wilmersdorf will man den Senioren die Furcht vor Überfallen nehmen. In Schöneberg geht es unter anderem darum, zu verhindern, daß sich die Drogenhändler auf den Hinterhöfen herumtreiben. „Es ist schon Erstaunliches zuwege gebracht worden“, freut sich der Geschäftsstellenleiter der Landeskommission gegen Gewalt, Stefan Voß, über die Entwicklung.
Voß ist um eine Vernetzung der Räte bemüht und lädt deshalb die Delegierten alle drei Monate zu einem Treffen ein. Gefördert werden soll damit ein Erfahrungsaustausch, denn die Probleme sind trotz aller Unterschiede doch ähnlich. „Indem sich die handelnden Personen kennenlernen, kann verhindert werden, daß überall das Rad neu erfunden werden muß.“ Die entscheidende Frage sei immer wieder: „Wie kriegt man es hin, die Leute dafür zu gewinnen, sich an der Entwicklung ihres Kiezes zu beteiligen?“
Die Zusammensetzung der Räte ist sehr unterschiedlich, und die Durststrecke zu sichtbaren Erfolgen lang. Im Präventionsrat Schöneberg-Nord, der über die Bezirksgrenzen hinaus viel Lob für gute Arbeit erfährt, treffen sich Anwohner, Geschäftsinhaber, Bezirksamtsmitarbeiter und sonstige Interessierte alle drei Monate zu einem Plenum, das von der grünen Bezirksbürgermeisterin Elisabeth Ziemer persönlich geleitet wird. Das von durchschnittlich 80 Leuten besuchte Plenum wertet die Ergebnisse der acht Arbeitsgruppen aus, die sich mit einzelnen Problemfeldern beschäftigen. Eine Gruppe hat zum Bespiel einen Plan ausgearbeitet, wie der Parkplatz des Sozialpalastes begrünt werden kann. In den 514 Wohnungen der Anfang der 70er Jahre gebauten, heruntergekommenen Wohnanlage leben rund 80 Prozent Sozialhilfeempfänger. Führende Berliner CDU-Politiker haben in der Vergangenheit immer wieder vorgeschlagen, den Palast kurzerhand abzureißen.
Der für vorbeugende Verbrechensbekämpfung zuständige Kriminaldirektor Winfried Roll findet allerdings, daß die Räte „zuviel über die Verbesserung des Wohnumfeldes nachdenken und zuwenig darüber, wie konkrete Tatgelegenheiten reduziert werden können“.Elisabeth Ziemer hält dagegen, daß beides miteinander zusammenhängt: „Nur wenn man die Orte genau kennt und die Anwohner Vertrauen fassen, wird man die wahren Probleme und Nöte kennenlernen.“ Plutonia Plarre
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