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Zweifel über die wirklichen Ziele

■ Weitreichende Bestimmungen im Annex des Kosovo-Abkommens

Hermann Scheer, SPD-Bundestagsabgeordneter und Mitglied des Bundesvorstandes seiner Partei, findet klare Worte für einige Passagen des Autonomieplans der Balkan-Kontaktgruppe für das Kosovo: „Diese Artikel des Vertragstextes von Rambouillet zeigen: Es war unrichtig von der Bundesregierung, zu glauben und dem Parlament und der Öffentlichkeit zu suggerieren, dieser Vertrag hätte von Belgrad jemals unterschrieben werden können; selbst ein gemäßigter serbischer Politiker an der Stelle von Milošević hätte diesen Text niemals unterzeichnet.“

Scheer gründet seinen Vorwurf an die Adresse der Regierung Schröder/Fischer auf die Artikel 6, 8 und 10 des militärischen Annex B im Entwurf des Abkommens, den die Kosovo-Albaner, nicht aber die Belgrader Regierung, am 18. März auf der Rambouillet-Fortsetzungskonferenz in Paris unterschrieben hatten.

Dieser Annex B definiert den Status der Nato-geführten militärischen „Implementierungstruppe“ (Kosovo Forces, KFOR) in der Größenordnung von 28.000 Soldaten, die zur Umsetzung eines Abkommens im Kosovo stationiert werden sollte. Doch Artikel 8 des Annex legt fest, daß sich das „Nato-Personal“ inklusive seiner Fahrzeuge, Schiffe und Flugzeuge nicht nur in der südserbsichen Provinz Kosovo, sondern in der gesamten „Bundesrepublik Jugoslawien“ (FRY) – sprich in ganz Serbien und Montenegro – sowie in ihrem Luftraum und ihren Terriotorialgewässern „völlig uneingeschränkt bewegen“ und sämtliche Einrichtungen für eigene Zwecke nutzen kann (siehe Kasten).

Laut Artikel 6 des Annex sollen die Nato und ihr Personal in der Bundesrepublik Jugoslawien völlige Immunität genießen – strafrechtlich und zivilrechtlich. Und Artikel 10 bestimmt, daß die Nato dort jegliche Infrastruktur kosten- und gebührenfrei nutzen kann. Nach Ansicht von Scheer sind dies nicht Bestimmungen für eine internationale Truppe zur Implementierung eines Autonomieabkommens für den Kosovo, sondern für ein Nato-Besatzungsstatut für ganz Jugoslawien.

Auch wenn das Rambouillet- Abkommen inzwischen Makulatur ist, bleibt die Frage, warum weder die serbische Verhandlungsdelegation bei den Konferenzen von Rambouillet und Paris noch die russiche Regierung diese Artikel nie kritisiert haben. Eine mögliche Erklärung: Milošević hat die Stationierung einer internationalen Truppe im Kosovo bis zuletzt immer grundsätzlich abgelehnt. Seine Delegation war nur bereit, über den politischen Teil des Entwurfs der Kontaktgruppe zu verhandeln und hat den gesamten militärischen Teil mehrfach als für sie „nicht existent“ bezeichnet. Deswegen konnte sich die Delegation dann auch am Verhandlungstisch nicht auf Diskussionen über einzelne Artikel dieses Teils einlassen. Dennoch hätte Belgrad diese Artikel öffentlich zur Begründung für die Ablehnung des Abkommens nutzen und damit wahrscheinlich auch in einigen Nato- Ländern durchaus kritische Fragen an die Regierungen provozieren können.

Rußland hat als Mitglied der Balkan-Kontaktgruppe den Entwurf für ein Autonomieabkommen zu Beginn der Rambouillet- Verhandlungen am 5. Februar zwar zumindest nach außen hin mitgetragen, sich im Verlaufe der Verhandlungen aber immer deutlicher von dem gesamten militärischen Implementierungsteil distanziert. Doch – zumindest nach außen hin – nahm Moskau nie kritisch Stellung zu den Artikeln 6, 8 und 10 von Annex B oder zu anderen Details des militärischen Implementierungsteils. Andreas Zumach

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