: Stille Gebete für alle Leidenden
■ Rund 2.000 Serben feierten am Samstag im Wedding mit einer stundenlangen Prozession das Ende der orthodoxen Fastenzeit. Doch Feststimmung kam wegen des Krieges in Jugoslawien nicht auf
Ein Band von Lichtern. Hunderte von kleinen Lampen aus dünnen Wachskerzen und Pappbechern erhellen das triste Weddinger Hinterhofkarree an der Ruppiner Straße. Nicht nur in Belgrad feiert man das Osterfest nach dem Julianischen Kalender eine Woche später, auch die serbisch-orthodoxe Gemeinde von Berlin beendete am Samstag abend ihre 50tägige österliche Fastenzeit mit einem durch den Krieg in der Heimat geprägten Gottesdienst. In die ehemalige Friedenskirche, heute benannt nach dem ersten serbischen Erzbischof, dem heiligen Sava, strömten rund 2.000 Menschen bis spät in die Nacht.
Die deutschen und türkischen Nachbarn, die von den einförmigen Balkonen der Betonblocksiedlung herabblicken, kennen das Ritual, wenn auch nicht unter den Vorzeichen des Krieges. Ein junger Kurde, der hier wohnt, fühlt sich an den Trauermarsch für die getöteten Konsulatsbesetzer erinnert: „Aber wir waren nicht so still.“ Einzig der leise Gesang einiger schwarzgekleideter Frauen an der Spitze der traditionellen Prozession, die das Gotteshaus mehrmals umrundet, untermalt das Bild. Brot und Eier bringen die Gläubigen zur Segnung mit, während die nationalen Symbole heute abend auf ein Minimum reduziert sind. Die Männer in teuren Anzügen tragen blauweißrote Fähnchen und Kokarden am Revers und Anstecker – „Gott schütze Serbien“, steht darauf. Keine Fahnen, keine Miloevic-Poster.
„Die serbische Kirche hat sich schon im Bosnienkrieg rausgehalten, und ich finde es angemessen, wenn sie auch jetzt unpolitisch bleibt“, sagt der Serbe Milun Kolakovic, der heute hier beten will. Verwandte in seiner Heimatstadt Cacak „begehen Ostern im Bombenkeller“, sagt er. „Wie soll man da in festliche Stimmung kommen?“
Etwas abseits, fast ganz im Dunkeln: die Einsatzwagen der Polizei. Bereits 1992 begannen die Anschläge auf das Gotteshaus, das Kirchenportal sei angezündet und mit Blut besudelt worden, berichtet Dragan Mitrovski, Vorsitzender der serbisch-orthodoxen Gemeinde in Berlin. Seitdem ist die Polizeipräsenz hier ein Teil der Osterliturgie.
Die schweigende Prozession endet vor dem Portal der seit 1970 serbisch-orthodoxen Kirche, nach Gebeten und dem Segen des Priesters öffnet sich symbolisch die Tür zum Grab Jesu, und die Gläubigen strömen in den Backsteinbau.
Bis auf den letzten Platz der Galerie ist die Kirche gefüllt, viele müssen draußen warten. Die Priester setzen zum Gebet für „alle unter dem Krieg leidenden Menschen“ an. Auch für die albanischen Flüchtlinge? „Nicht explizit, aber alle schließt letztlich auch die Leute ein, die unserem Volk dieses Leid antun“, sagt Mitrovski. „Die Kirche in Serbien ist zwar nicht die Speerspitze der Opposition, aber im Kosovo haben wir uns stets für die Menschenrechte eingesetzt“, sagt er mit Hinweis auf das Engagement des Kosovo-Erzbischofs. Der gehöre jetzt zu den von der Regierung meistgehaßten Menschen, so Mitrovski.
Am Eingang der Kirche zünden die Menschen Kerzen im Gedenken an Verwandte und Freunde an. Unter ihnen ein 48jähriger Maschinenschlosser aus der Wojwodina, der vor drei Jahren aus Jugoslawien emigrierte. „Ich bin wahrlich nicht für Miloevic“, sagt er leise, „aber angesichts der Bomben kann niemand mehr offen gegen die Regierung sein.“
Die Solidarität anderer Konfessionen ist zahlenmäßig gering, doch sie ist da. Pastor Manfred Richter vom Berliner Dom hat sich in die Prozession eingereiht. Er komme seit Beginn des Nato-Bombardements regelmäßig zu Friedensgebeten hierher, sagte er. „Das Bild vom bösen Serben hätte wenigstens über die Osterfeiertage beiseite gelegt werden können“, ergänzt sein katholischer Kollege Hans Pietz aus Marzahn. Im Gespräch erklärt Pietz den Serben, daß die österliche Papstbotschaft verfälscht wurde: „Er hat auch für Eure Bombenopfer gebetet, das lassen die Medien natürlich weg.“
Die Kollekte naht –das Geld ist für die „Nato-Opfer in der Heimat“ bestimmt, „ein Hilfstransport befindet sich in Vorbereitung“, erklärt Priester Veljko Gacic, der die Messe bis zwei Uhr nachts durchhält, so lange, bis jeder, der noch draußen wartet, seinen Segen erhalten hat. „Der Krieg ist kein Grund für die Menschen“, sagt er später, „ihre religiösen Traditionen aufzugeben.“ Viele der in Berlin lebenden Serben, berichtet er aus den persönlichen seelsorgerischen Gesprächen, „haben sich schon an ihn gewöhnt. Beten tun sie trotzdem.“ Christoph Rasch
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen