piwik no script img

Irrtum oder Propaganda?

■  Staatsminister Günter Verheugen bedauert den irrtümlichen Nato-Angriff auf einen Flüchtlingstreck. Die Nato relativiert indes ihr Schuldeingeständnis: Für den Beschuß des Flüchtlingskonvois sei sie nicht verantwortlich

Bonn/Brüssel (dpa) – Der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Günter Verheugen (SPD), hat den irrtümlichen Nato-Luftangriff auf einen Treck mit Kosovo-Flüchtlingen als „furchtbaren Fehler“ bezeichnet. Bei dem Vorfall am Mittwoch kamen nach serbischen Angaben 75 Menschen ums Leben. Allerdings relativierte die Nato inzwischen das Eingeständnis ihrer Verantwortung für den Vorfall.

Im Deutschlandfunk wies Verheugen gestern darauf hin, daß es keine „chirurgisch saubere Kriegsführung“ gebe. Er betonte, daß die Aggression von der Belgrader Führung ausgehe. Gleichzeitig verteidigte er den deutschen Vorschlag für einen Kosovo-Friedensplan. Dieser habe eine „gewisse Attraktion für die serbische Seite“. Verheugen betonte, daß man von seiten der Bundesregierung konsequent an dem Ziel festhalte, daß die Vertreibungen im Kosovo sofort gestoppt werden.

Bei dem Angriff auf einen Flüchtlingskonvoi im Kosovo handelte es sich allerdings nicht um jene Bombardierung eines möglicherweise zivilen Fahrzeugs, welche die Nato am Donnerstag eingestanden hatte. Ein Sprecher sagte gestern in Brüssel: „Wir haben gesagt, daß wir nördlich von Djakovica irrtümlicherweise ein Fahrzeug bombardiert haben, bei dem es sich um ein Zivilfahrzeug handelte. Wir haben nie erklärt, daß wir für den Vorfall verantwortlich sind, dessen Bilder im Fernsehen zu sehen sind.“

In der Brüsseler Nato-Zentrale herrscht zunehmend Verwirrung über die Ereignisse vom Mittwoch. Der italienische General Giuseppe Marani hatte am Donnerstag vor der Presse ausführlich über einen Angriff auf einen Konvoi berichtet, der sich nördlich von Djakovica auf der Straße nach Decane ereignet habe. Der Pilot einer amerikanischen F-16 hatte erklärt, er habe eine Präzisionsbombe auf einen von drei Lastwagen geworfen, die seiner Ansicht nach militärische Fahrzeuge waren. Marani hatte erklärt, bei einem getroffenen Fahrzeug habe es sich tatsächlich jedoch um ein Zivilfahrzeug gehandelt. Nato-Sprecher Jamie Shea hatte den Verlust von Menschenleben „zutiefst bedauert“.

Der Flüchtlingskonvoi, in dem nach serbischen Angaben 75 Menschen starben und mehr als 100 verletzt wurden, war jedoch südlich von Djakovica auf der Straße nach Prizren angegriffen worden. Marani hatte erklärt, die Nato habe auch einen Konvoi südlich von Djakovica angegriffen, doch habe es sich dabei um einen Militärkonvoi gehandelt.

Flüchtlinge, die den Angriff überstanden, dessen Folgen im serbischen Fernsehen gezeigt wurden, berichteten nach der Ankunft in Albanien nicht vom Abwurf einer Bombe. Sie sagten vielmehr, ein grünes Flugzeug habe den Konvoi und vor allem einen Taktor mehrfach angegriffen und „beschossen“.

Ein Nato-Militär verwies darauf, daß die Allianz über Jugoslawien keine grünen Flugzeuge einsetze. Ein anderer Offizier hatte bereits am Donnerstag gesagt, die auf den Fernsehbildern erkennbaren Schäden entsprächen nicht jenen, die beim Abwurf einer Präzisionsbombe zu erwarten seien. Marani hatte am Donnerstag, als Journalisten ihn zu unklaren Punkten seiner Darstellung befragen wollten, keine weiteren Auskünfte mehr geben wollen.

Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen