Hätten Bomben Auschwitz verhindert?

In Israel wird der Kosovo-Krieg sowohl mit der Judenverfolgung in Deutschland als auch mit der Vertreibung der Palästinenser verglichen. Über 100 Kosovo-Flüchtlinge sind nach Israel gekommen  ■   Aus Jerusalem Susanne Knaul

Jeglicher Vergleich von Kriegen oder Völkermord mit dem Holocaust wird in Israel in der Regel mit Empfindlichkeit aufgenommen. Die Schoa war einzigartig – so der allgemeine Tenor. „Das Festhalten an den eigenen Schrekken ließ keinen Raum für andere Schrecken“, schreibt die Journalistin Michal Kafra in der Tageszeitung Maariw.

Die Menschlichkeit, die sich eigentlich gegen jedes Leid und jede Vertreibung wenden müsse, habe mit „den politischen Äußerungen, die hier in der letzten Zeit zu hören waren, ihren Tiefpunkt erreicht“.

Es waren schließlich aber die Holocaust-Überlebenden, die das lange Schweigen Israels zum Kosovo-Konflikt scharf kritisierten. „Israel ist ein jüdischer Staat und muß als solcher gegenüber menschlichem Leid besondere Empfindlichkeit zeigen“, schrieb Eli Wiesel.

Die Jewish Agency organisierte umfangreiche Hilfsaktionen; so etwa eine Spendenaktion in Tel Aviv, bei der gut zwei Millionen Mark gesammelt wurden. Die Jewish Agency hat in der vergangenen Woche außerdem die ersten 112 Flüchtlinge nach Israel geholt. Darunter befindet sich eine Frau, deren Eltern während des Zweiten Weltkrieges Juden versteckt hatten.

Obschon die israelische Bevölkerung die Nato-Operationen mehrheitlich befürwortet, melden sich nun aber auch kritische Stimmen zu Wort. „Der Mann hat sein Land in den überflüssigsten und lächerlichsten aller Kriege verwickelt. Aus dem Pazifisten wurde ein Kriegshetzer“, schreibt beispielsweise der als extrem konservativ geltende Anwalt Aharon Papo in einem Maariw-Gastkommentar über den US-Präsidenten Bill Clinton. „Die Nato wird diesmal von Deutschland geführt, das sich wieder einmal territorialen Expansionsträumen hingibt“, setzt Papo fort und erinnert daran, daß die Moslems im Kosovo während des Zweiten Weltkrieges „zwei SS-Divisionen stellten“. Die Kosovo-Moslems würden ferner vom Iran und von der Hisbollah unterstützt, deshalb müsse „Israel den Serben helfen, die sich als Philosemiten bewiesen haben“.

Ob tatsächlich ein Bombenangriff der Alliierten auf Auschwitz ausgereicht hätte, „um die Vernichtungslager der Nazis zu stoppen und Millionen von Juden zu retten“, fragt der Kommentator der rechtsnationalen Tageszeitung Hazofeh, Dani Schalom, angesichts der Tatsache, daß „der jugoslawische Präsident Miloevic trotz der massiven Angriffe der Nato nicht von der Völkervertreibung und der angeblichen Ermordung männlicher Bewohner abläßt“.

Von „Scheinheiligkeit“ ist im Rechts-außen-Lager die Rede, wenn der Nato „das Blut der Moslems von Kosovo wichtiger ist“ als das der Menschen im vom Bürgerkrieg zerstörten Sierra Leone.

Derart scharfe Töne sind jedoch die Ausnahme. Unter den israelischen Politikern haben sich einzig die Likud-Politiker Ariel Scharon (Außenminister) und Zachi Hanegbi (Justizminister) gegen die Nato-Intervention im Kosovo ausgesprochen. Scharon begründete seine Haltung damit, daß in dem Moment, wo Israel selbst „eine Aktion dieser Art befürwortet“, als nächstes Land selbst betroffen sein könnte. Offenbar scheint der Minister die Vertreibung der Araber aus dem israelischen Kernland genauso für denkbar zu halten wie amerikanische Bomber am Himmel über Israel.

Hingegen wird unter den Palästinensern und auch in den Reihen der israelischen Linken der Vergleich zwischen der „ethnischen Säuberung“ im Kosovo und dem israelischen Unabhängigkeitskrieg gezogen; damals wurde die arabische Bevölkerung aus zahlreichen Dörfern in Israel gewaltsam vertrieben.

Die renommierte linksliberale Tageszeitung Haaretz warnt in einem Kommentar jedoch vor dieser historischen Parallelisierung. „Nicht das Verlassen der Heimat erzeugte die Entwurzelung der Flüchtlinge, sondern die Tatsache, daß ihr Flüchtlingsstatus zu einem Dauerstatus wurde“, schreibt der Autor Meron Benvenisti über die arabischen Vertriebenen. Die Kosovo-Flüchtlinge hofften indes darauf, daß „ihr Flüchtlingsdasein nicht festgeschrieben wird“.