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Nägel lackieren, plaudern, lesen

■ Lebende Schaufensterpuppen in den Galeries Lafayette

Paris (taz) – Füttern ist verboten. Streicheln ist verboten. Und selbst lèche-vitrines – Schaufensterlecken –, die Lieblingsbeschäftigung von Passanten auf dem Pariser Boulevard Haussmann, ist bei den Galeries Lafayette gegenwärtig nicht möglich: Vor jedem Schaufenster steht ein uniformierter Herr und achtet streng darauf, daß niemand näher als zwei Meter an das Glas herankommt.

Trotzdem bilden sich täglich Menschentrauben auf dem Trottoir. Der Grund: In den Glaskästen räkeln sich drei junge Frauen und ein Schoßhündchen. Sie tun das für Geld und zur Promotion der schwarzen Unterwäschenmode der französischen Designerin Chantal Thomass.

Die drei Frauen in BH, Slip und halterlosen Strümpfen gehen lächelnd auf und ab. Kuscheln mit dem Hündchen. Schlürfen Champagner. Kurz: Sie geben sich dem hin, was Designerin Thomass und das veranstaltende Kaufhaus als typische Beschäftigungen des weiblichen Geschlechts bezeichnen: „Nägel lackieren. Plaudern. Lesen.“ Blicke in das Publikum auf dem Trottoir werfen die drei Frauen nicht. So steht es in den Regieanweisungen ihrer Auftraggeber. Manche Zuschauer sind – angezogen von den enthusiastischen Berichten von Journalisten – vom anderen Ende der Stadt angereist.

Eine Peep-Show mit Darstellerinnen dieser Qualität – zwei wohlgestalte Brünette, eine Blondine, alle drei blutjung – gibt es schließlich nicht alle Tage, dazu noch gratis und an der frischen Luft. Viel besser als bei anderen Darbietungen dieses Genres ist auch die Bühne: Die drei Schaufensterpuppen bewegen sich durch sechs nebeneinanderliegende Vitrinen, die den Räumen einer Wohnung nachempfunden sind.

Eingerichtet ist sie im Stil der ersten Jahrhunderthälfte. Damals war bekanntlich nicht nur der Möbel- und Dessousgeschmack so wie heute. Auch die Verhältnisse zu Hause ähnelten sich: Die Männer zogen in den Krieg, und die Frauen bemühten sich, bei der Rückkehr ihrer Krieger schön zu sein. Daß zu jener Zeit niemand daran dachte, lebendige Schaufensterpuppen zu engagieren, hatte vor allem damit zu tun, daß diese Rollen noch anderweitig besetzt waren. Wie 1931 bei der Kolonialausstellung in Paris, als echte Wilde aus Neukaledonien päsentiert wurden.

Heute, da die Wilden abspenstig geworden sind, können eingeborene Frauen diese Rollen übernehmen. Da „ist nichts Anstößiges dabei“, sagt die Dessous-Designerin.

Widersprochen hat ihr niemand. Schon gar nicht die Dutzende von Ministern, Staatssekretären und anderen hochqualifizierten Notablen in der Frauenfrage, die sich in der vergangenen Woche in Paris versammelten, um drei Tage lang auf einer europäischen Konferenz über die Gleichberechtigung zu debattieren. Nachdem ein paar närrische Weiber – „Feministinnen“ – am Samstag vor den Vitrinen demonstrierten, rief in dieser Woche dann doch ein Mitglied der französischen Regierung bei dem Chef des Kaufhauses an, um vorzuschlagen, die bis zum 8. Mai geplante Schaufenstergestaltung vorzeitig zu beenden. Wer die Schaufensterpuppen, die uniformierten Vitrinenbewacher und die Frauen-Expertin Thomass noch live erleben will, muß sich also beeilen. Schwarze Dessous allerdings bleiben langfristig im Angebot. Dorothea Hahn

Die Dessousträgerinnen gehen lächelnd auf und ab, kuscheln mit dem Hündchen und schlürfen Champagner

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