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Von Müttern und Amazonen

Krieg scheint die archaische Rollenverteilung wiederherzustellen. Männer sind Täter, Frauen Opfer. Zumindest suggeriert dies die Zeitungs- und Fernsehberichterstattung über das Kosovo-Elend: fliehende Frauen mit Säuglingen im Arm und kühle Kriegsherren mit smarten Gesichtern an Konferenztischen. Bei so viel Klarheit in den Geschlechterverhältnissen bleibt nur wenig Raum für Differenzierungen. Alles Propaganda? fragt  ■ Cristina Nord

Zu Beginn vergangener Woche hing an einer Brücke in Berlin diese Papptafel. Schwarze Lettern vor orangefarbenem Grund forderten ein Ende der Natobombardements im Kosovo und Serbien: „Für eine Politik des Herzens. Frieden & verhandeln. Eine weibliche Stimme.“ Damit ihr der Aprilregen nichts anhaben möge, war die Tafel sorgsam in Plastikfolie gehüllt. Wer auch immer sie angebracht haben mochte, hatte ein schlechtes Datum für seinen leisen Protest gewählt: Einen Tag zuvor hatte das amerikanische Verteidigungsministerium bekanntgegeben, daß „vertrauenswürdige Informationen“ vorlägen, denen zufolge „zahlreiche junge Kosovo-Albanerinnen in einem Militärcamp nahe der Stadt Dakovica im Südwesten des Kosovo versammelt und von serbischen Soldaten kollektiv vergewaltigt wurden“.

Hier zeichnet sich ein Aspekt jenes Dilemmas ab, an dem friedensbewegte Gemüter seit den Natoluftangriffen schwer zu tragen haben: Wer dem Ende der Bombardements das Wort redet, bereitet damit nolens volens größeren Greueln den Weg. Oder, wie es Klaus Hartung in der Zeit formulierte: „Es heißt, jetzt kollidierten zwei Lehren aus unserer Geschichte: ,Nie wieder Auschwitz' und ,Nie wieder Krieg'.“ Daß die griffige Gegenüberstellung das aktuelle Geschehen simplifiziert, weiß der Autor: „Doch viel mehr kollidieren wir mit der Wirklichkeit des Jahres 1999.“

Zu dieser Wirklichkeit gehört etwas, was die Antikriegstafel und die Meldung von Vergewaltigungen erst auf den zweiten Blick preisgeben: Im Krieg werden die Geschlechterrollen neu verteilt und neu bewertet – und zwar auf allen Seiten der Front. Zwischen Realem und Symbolischem klafft dabei oft genug eine Lücke. Denn die meisten kriegerischen Auseinandersetzungen bedeuten für Frauen einen Zuwachs an Verantwortung, eine Erweiterung der Tätigkeitsfelder. Wo die Männer abwesend sind, müssen Frauen sich in neuen Rollen behaupten, werden sie – ob sie das nun wollen oder nicht – zu Trägerinnen einer Emanzipation, die sich für die Dauer der Ausnahmesituation nicht umkehren läßt. Und natürlich sind Frauen, wie der Nationalsozialismus belegt, nicht davor gefeit, teilzuhaben an Verfolgung und Vernichtung.

Dieser widersprüchliche Zuwachs an Handlungsfeldern findet auf symbolischer Ebene keine Entsprechung. Im Gegenteil: Dort wird das Rollenspektrum eingeschränkt. Was den Krieg ums Kosovo betrifft, gilt dies für die Kriegsparteien wie für die Berichterstatter, für Friedensbewegte wie für Bellizisten. Egal wie undurchschaubar die Verhältnisse vor Ort sein mögen, aus den Nachrichten schält sich ein klares, von nur wenigen Abweichungen gestörtes Bild heraus: Krieg ist eine Sache von Männern. Frauen kommen darin fast ausschließlich als Opfer vor. Die Zeit (und nicht nur sie) dokumentiert das, wenn sie mit einer fünfteiligen Bilderleiste aufmacht, die die Gesichter der Macht zeigt. Clinton, Jelzin, Milosevic und Schröder blicken uns entgegen. In ihrer Mitte das Foto einer weinenden Frau, die ihren Kopf halb hinter einem Kleinkind verbirgt. Die Botschaft ist klar: Hier die Akteure, dort die Leidtragende, hier die Mächtigen, dort das Opfer, hier die Männer, dort die Mutter.

Wenn den Frauen eine weitere Position zukommt, so ist es die der Mahnerin. Deren Machtlosigkeit ändert nichts daran, daß sie als Vertreterin einer „Politik des Herzens“ Recht und Moral auf ihrer Seite glaubt. Ilona Rothe, Mutter eines in Makedonien stationierten Bundeswehrsoldaten und Gründerin der Initiative „Mütter gegen den Krieg“, verkörpert diesen Typus der friedfertigen, aber hilflosen Frau wie keine zweite. Daß ihr Sohn mit ihrem Engagement nichts anzufangen weiß, interessiert sie nicht: „Wenn wir als Mütter da nicht Grenzen setzen, wer dann?“ fragt sie im taz-Interview. Als man im Kanzleramt auf ihre Initiative nicht reagiert, klagt sie: „Uns ist jetzt allen klar, daß wir Mütter allein dastehen.“ Rothes Haltung bezieht ihre politische Legitimation aus jener totgeglaubten Mischung aus persönlicher Betroffenheit und weiblich buchstabierter Wut und Trauer. Flankiert wird sie von Formeln wie dieser: „Männlichkeit = Nationalismus = Kriegslust“. So Alice Schwarzer 1992, unter dem Eindruck des Golfkrieges.

Wo die Mutterrolle vielfach beschworen wird, nimmt es kaum wunder, wenn auch die Nachricht von den Vergewaltigungen einer Logik gemäß inszeniert wird, die potentielle Schwangerschaften in den Mittelpunkt des Interesses rückt. Die Berliner Boulevardzeitung B.Z. etwa titelte: „UNO schickt Abtreibungspillen“. Darunter, etwas kleiner: „1. Hilfe für geschändete Kosovo- Frauen“. Auf Seite 2 dann die Meldung: „Die UNO-Ärzte versuchen jetzt, den Hunderten von Kosovo-Albanerinnen, die von Serben systematisch mißbraucht wurden, wenigstens das Leid einer ungewollten Schwangerschaft zu ersparen. Sie verteilen in den Flüchtlingscamps an die Betroffenen Abtreibungspillen.“

Nun wäre es natürlich billig, einem Boulevardblatt mangelnde Differenzierung vorzuhalten. Was vielmehr interessiert, ist, wie der Schwerpunkt von den Vergewaltigungsopfern hin zu deren Uterus verschoben wird. Die den Kosovo-Albanerinnen zugeschriebene Rolle ist passiv, ihr Schicksal liegt ganz in der Hand von UNO-Ärzten, die sich als Retter profilieren können. Und aus der Ferne winkt die serbische Propaganda. Auch die entblödet sich nicht, albanische Frauen auf Geburtenrate und Gebärmutter zu reduzieren, wie es etwa ein Offener Brief belegt, den Slobodan Rakitic, Vorsitzender des Schriftstellerverbandes Serbiens, an Günter Grass sandte. Die polygamen Albaner würden ihre Frauen zwingen, zahlreiche Kinder zu gebären, die dann von der Sozialhilfe des serbischen Staates lebten, heißt es da.

Die Bilder von den mißhandelten Frauen werden alsdann eingespeist in die große, keinen Widerspruch mehr duldende Kriegserzählung, von deren Entstehen und Wirken Georg Seeßlen in dieser Zeitung sprach. „Unmerklich zunächst und doch unaufhaltsam wird aus der Wahrnehmung der zunächst chaotischen Bilder, aus dem Genre, das aus der seriellen Wiederkehr der gleichen Bilder und ihrer Bedeutung entsteht, und schließlich der Erzählung, die ihnen abgerungen wurde, wieder eine Ideologie.“

Seinem Kontrahenten Gregor Gysi von der PDS schmetterte Außenminister Joseph Fischer im Bundestag entgegen: „Wo ist das Recht der vergewaltigten Frauen?“ Die erregt vorgetragene Frage kündet eben nicht nur von der Bereitschaft, sich in die Lage der Frauen zu versetzen, sondern auch vom Schwinden der Argumente zugunsten einer Rhetorik, die Widerworte nicht erträgt.

Ausgespart bleibt in dieser Erzählung ein Bild, das vor nicht allzu langer Zeit noch zu begeistern vermochte. Gab es nicht einmal die Figur der Kämpferin? Die Aufnahmen schöner Frauen in Uniform, mit großkalibrigen Waffen in der Hand? In hiesigen linken Kreisen war diesen Amazonen Sympathie gewiß. Schließlich kämpften sie nicht nur für eine als gerecht empfundene Sache, sondern auch für die Sache der Frau. Und wurden so zu Erfüllungsgehilfinnen heimlicher Machtphantasien: Sie zeigten es nicht nur dem Unterdrücker, sondern auch den Machos in den eigenen Reihen.

In der Berichterstattung über das Kosovo kommen solche Bilder nicht vor. Die UÇK scheint keine weiblichen Mitglieder zu haben; militante Frauen treten – wenn überhaupt – als fanatisierte serbische Demonstrantinnen auf. Aber natürlich käme es der Realität des Kriegsgeschehens kein Stück näher, träte an die Stelle der Unberührbaren die unverwundbare Amazone. Das Bild der heldenhaften Kämpferin reduziert genauso wie das des Opfers. Visionen von Allmacht trügen im selben Maß wie Beschwörungen von Ohnmacht. Die Realität liegt wohl dazwischen: Da, wo sandinistische Guerilleras die sexuelle Gewalt in den eigenen Reihen ansprechen und dafür als Verräterinnen denunziert werden. Da, wo Befreiungskämpferinnen in Simbabwe von Vergewaltigungen im Trainingscamp erzählen und ein Spielfilm, der dies zum Thema hat, von Zensur bedroht ist. Da, wo militärische Systeme wie etwa die US-Armee eine hohe Rate sexueller Übergriffe zu verzeichnen haben. Und schließlich da, wo der Zuwachs an Handlungsfeldern mit dem Ende des Krieges in sich zusammenfällt wie ein zerbombtes Haus. Wie die Bilder wohl aussähen, die davon erzählten?

Cristina Nord·N30, Literaturwissenschaftlerin, lebt in Berlin und schreibt vorwiegend über Film und Literatur

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