:
Trend zur Homestory ■ Von Carola Rönneburg
Vielleicht kommen sie, vielleicht nicht. Wird die Nato demnächst in Jugoslawien einmarschieren? Die Vehemenz, mit der sich Teile der amtierenden deutschen Opposition gegen den sogenannten Einsatz von Bodentruppen wendet, stimmt nicht gerade hoffnungsvoll. Und ein Gerhard Schröder, der einerseits immer wieder bekräftigt, das Thema sei vom Tisch, andererseits aber versichert, die Nato könne sich auf Deutschland verlassen, erst recht nicht. Vor allem, weil es stimmt: Für den Fall der Fälle nämlich kann sich die Nato auf Deutschland verlassen.
Wer in den letzten Wochen abseits der nutzlosen aktuellen Berichterstattung Reportagen in Zeitungen las oder sich durch die Fernsehnachrichten schaltete, begegnete in schöner Regelmäßigkeit dem aufrechten, guten deutschen Zeitsoldaten, dessen Auftrag offenbar allein lautet, Schokolade an verstörte Flüchtlingskinder zu verteilen. Kein Zweifel, daß Flüchtlingskinder Schokolade in rauhen Mengen bekommen sollen; kein Zweifel auch, daß der deutsche Freiwillige lieber Süßigkeiten austeilt, als selbst etwas einstecken zu müssen, z. B.ein Projektil an einer ungünstigen Stelle. Dennoch besteht, so gern derzeit das Miteinander von Soldaten und Zivilisten gezeigt und beschrieben wird, wiederum kein Zweifel daran, daß Flüchtlingskinder Flüchtlingskinder bleiben, wohingegen Soldaten jederzeit die Schokolade mit der Handgranate tauschen werden und – so ist halt der Krieg – im Eifer des Gefechts, wie man sagt, ein paar Kinder der Gegenseite in die Luft jagen. Die Nato würde sich selbstverständlich dafür entschuldigen.
Und die Boulevardzeitungen und ihre TV-Entsprechungen hätten ein gefundenes Fressen: wie sehr der deutsche Soldat unter seinem Einsatz leidet und dennoch tapfer seinen furchtbaren Pflichten nachgeht. Auf diesen Moment bereiten die zuständigen Redakteure ihr Publikum schon lange vor. Den ersten in die Heimat zurückgekehrten bayrischen Rekruten widmete man auf Bayern 3 ausführliche Berichte, und inzwischen geht der Trend zur Homestory. Die Berliner Billigzeitung BZ etwa porträtierte den Zeitsoldaten Henry aus Weißensee: Ein netter Junge, der Gutes tun will, in den Flüchtlingslagern Zelte aufbaut und seine Familie vermißt. „Seine Tochter“, so die BZ, „wird er erst in vier Monaten wiedersehen.“ Dann nämlich hätte Henry endlich einmal Urlaub. Immerhin aber hatte die Tochter just am Tag, als der BZ-Reporter da war, erstmals am Telefon „Papa“ gesagt. Sehr bewegend – zumal die BZ dem Soldatennachwuchs das Alter von sechs Monaten zuschrieb. Es ist so schön: Im Krieg beginnen sogar schon Halbjährige zu sprechen. Soldaten sind Wunderkinderzeuger!
Was der stolze Vater nicht ahnt: Sie werden ihm auf den Fersen bleiben, diese Leute, die sich vorgeblich für seine Geschichte oder die der zurückgelassenen Soldatenbräute interessieren. Wenn es doch zum Krieg zu Lande kommen sollte (mit Begründungen wie der des ehemaligen Berliner CDU-Innensenators Schönbohm, daß schließlich nicht ganz Serbien zerbombt werden dürfe), dann wartet niemand gespannter auf seinen Tod als die BZ bzw. Bild,Stern oder RTL. Adressen und Telefonnummern seiner Frau und seiner Angehörigen haben sie längst.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen