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„Wir hätten härter verhandeln sollen“

■  Der griechische Minister für Europa-Angelegenheiten, Ylannos Kranidiotis, über die Nato-Angriffe auf Jugoslawien und deren Folgen für Griechenland, die proserbische Stimmung in seinem Land und das Verhältnis Athens zu den Nachbarstaaten

taz: Wie steht Griechenland als Nato- und EU-Mitglied zu den militärischen Aktionen der Allianz gegen Jugoslawien?

Ylannos Kranidiotis: Wir haben die Nato-Entscheidungen nicht blockiert, aber von Anfang an gesagt: Griechenland beteiligt sich nicht an Luftoperationen und auch nicht an möglichen Aktionen von Bodentruppen. Das ist ein delikater politischer Kurs. Einerseits beharren wir auf einer Reihe von Prinzipien, die für den Balkan gelten sollen: Unverletzlichkeit der Grenzen, Respektierung von Menschen- und Minderheitenrechten und eben friedliche Konfliktlösung. Andererseits gehören wir zur Nato und zur EU. Unsere langfristigen strategischen Interessen liegen eindeutig innerhalb des Bündnissystems.

Diesen Balanceakt sehen manche als unkritische Haltung zu Miloevic.

Daß wir den Einsatz von Gewaltmitteln ablehnen, heißt nicht, daß wir Miloevic unterstützen. Wir haben dessen Poitik, vor allem die „ethnischen Säuberungen“, sehr oft angeprangert. Wir haben in unserer eigenen Geschichte immer wieder solche Vertreibungen erlebt, zuletzt in Zypern, wo die türkische Armee bei ihrer Invasion 1974 ethnische Säuberungen vorgenommen hat.

Hätten nichtmilitärische Mittel die Vertreibungen verhindern können?

Wir hätten beharrlicher und härter verhandeln sollen. Und diesseits militärischer Mittel gibt es andere, die wir jetzt ja auch wieder diskutieren, also Sanktionen, ökonomische Blockaden, aber auch ökonomische Anreize. Griechenland war immer für die Methode „Zuckerbrot und Peitsche“.

Auch das wäre keine Erfolgsgarantie.

Nein. Aber was haben wir jetzt erreicht? Wir haben einen gestärkten Miloevic, mehr Flüchtlinge und eine zerstörte Infrastruktur in ganz Jugoslawien. Und die Region insgesamt ist destabilisiert, die Prinzipien, auf denen die Lösung des Problems beruhen sollte, rükken in weite Ferne. Die extremen Elemente haben auf beiden Seiten Oberwasser, Leute wie Rugova sind völlig marginalisiert. Die großalbanischen Ambitionen der UÇK könnten Albanien, FYROM (offizieller Name der Republik Makedonien, N.K) und Montenegro destabilisieren. Das macht uns größte Sorgen.

Wie sehen die Folgen des Krieges für Griechenland aus?

Die Fortdauer des Krieges bringt uns große Probleme. Unsere Verkehrswege nach Norden sind blockiert, unser Handel muß über Italien laufen. Die Investitionen griechischer Firmen in den anderen Balkanländern sind gefährdet. Das beeinträchtigt unser Wirtschaftswachstum in einer Zeit, da wir den raschen Beitritt zur WWU anstreben. Das ist für uns nicht nur eine ökonomische, sondern eine ganz zentrale politische Perspektive.

Es gibt eine deutliche Differenz zwischen der Haltung Ihrer Regierung und der proserbischen öffentlichen Meinung im Lande.

Die Öffentlichkeit ist nicht einseitig für die serbische Seite, sie ist schlicht gegen den Krieg. Aber die Menschen unterstützen zugleich mehrheitlich die Haltung der Regierung. Sie verstehen also die komplizierte Lage des Landes. Das ist ein Zeichen von Reife.

Dennoch: Die proserbischen Gefühle werden so laut artikuliert, etwa von Erzbischof Christodoulos, daß man an die Huntington-These erinnert wird, wonach es eine kulturelle Kluft zwischen den orthodox geprägten Ländern und dem „westlichen Abendland“ gibt. Macht Ihnen das Sorge?

Natürlich gibt es proserbische Elemente, nicht nur aus religiösen Gründen. Noch lauter als die Kirche ist die Kommunistische Partei. Aber selbst die Kirche schickt Hilfe auch nach Albanien. Zu Huntington kann ich nur sagen: Griechenland ist seit langem ein westlich orientiertes Land. Neue religiöse Trennlinien einzuführen wäre völlig absurd. Das würde uns ins Mittelalter zurückstoßen.

Wie stabil ist das Verhältnis Griechenlands zu Albanien und Makedonien, die vom Kosovo-Konflikt direkt betroffen sind?

Wir haben eine sehr stabile Basis mit Tirana, obwohl wir zur Lösung der Kosovo-Frage einen anderen Ansatz verfolgen. Sehr eng haben sich in den letzten Jahren unsere Beziehungen zur FYROM entwickelt. Was die aktuelle Lage im Kosovo betrifft, haben wir dieselben Interessen. Präsident Gligorov hat mir versichert, er sehe Griechenland als „strategischen Partner“ seines Landes. Wir fühlen uns dem Nachbarland sehr verbunden. Und können ihm einiges bieten, in wirtschaftlicher, aber auch in sicherheitspolitischer Hinsicht.

Wie sieht unter dem Vorzeichen Kosovo das Verhältnis zu den anderen Balkanstaaten aus?

Vor wenigen Tagen sind in Athen hohe diplomatische Vertreter aller Balkanländer – einschließlich der Türkei – zusammengekommen, um die Lage zu erörtern. Alle nicht direkt am Konflikt beteiligten Länder – Türkei, Rumänien, Bulgarien, FYROM und Griechenland – schätzen die Lage weitgehend ähnlich ein. Deshalb glauben wir, die Nato- und EU-Partner sollten uns hören. Es müßte einen Verbindungsmechanismus zur „Kontaktgruppe“ geben, in der die Balkanregion keine Stimme hat. Es ist unfair, wenn in Sachen Kosovo extrem wichtige Entscheidungen in einem ganz engen Kreis getroffen werden, auf letztlich undemokratische Weise. Sinnvoll wäre ein Konsultationsprozeß, damit man unsere Ansichten zur Kenntnis nimmt.

Was würde für Athen der Einsatz von Bodentruppen im Kosovo bedeuten? Würde man Nato-Kampfeinheiten den Zugang über den Hafen von Thessaloniki gewähren?

Die Frage steht offiziell nicht auf der Tagesordnung, und offenbar wird die Idee von einer Mehrheit der Nato-Länder abgelehnt. Aber wenn sich die Krise lange fortschleppt, sehe ich die Möglichkeit „unorthodoxer“ Bodenoperationen, etwa von Apache-Verbänden und anderen Spezialeinheiten. Aber ich sehe keine massive Bodentruppe, die im Kosovo einmarschiert. Eine andere Sache wären Einheiten unter UN-Mandat. An einer solchen friedenserhaltenden Operation würde sich auch Griechenland beteiligen.

Nicht aber an Kampftruppen?

An solchen Bodenoperationen würde sich Griechenland auf gar keinen Fall beteiligen. Die Frage, ob wir solchen Truppen den Durchzug durch Griechenland gestatten würden, kann ich jetzt nicht beantworten. Aber ich denke nicht, daß es dazu kommt. Denn auch die Regierung in Skopje will ihr Territorium solchen Truppen nicht zur Verfügung stellen.

Mit Bodentruppen hat auch Deutschland große Probleme. Gibt es gemeinsame Interessen mit Bonn auch hinsichtlich politischer Initiativen?

Absolut. Unsere Initiative zu einem umfassenden „Stabilisierungs- und Entwicklungsplan“ für die ganze Region ergänzt sich mit dem von Deutschland vorgeschlagenen Stabilitätspakt und der deutschen diplomatischen Initiative.

Wie steht Griechenland langfristig zur Idee einer europäischen Identität auch in Sicherheitsfragen?

Wir sind sehr starke Befürworter einer distinkten, selbständigen, unabhängigen europäischen Verteidigungs- und Sicherheitsidentität. Interview: Niels Kadritzke

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