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Nichts geht mehr auf der Donau

■  Seit die Brücken in Novi Sad zerstört sind, ist die Schiffahrt auf Mitteleuropas längstem Fluß unterbrochen. Frachter liegen fest, Schiffer sind ohne Arbeit und Reedereien machen Verluste von Hunderttausenden Mark pro Tag

„Warten, warten, sonst nix.“ Ioya Ilie lacht. Eigentlich hat er nichts zu lachen. Der Mann ist Kapitän des unter rumänischer Flagge fahrenden Frachtkahns mit dem wenig romantischen Namen N. R. 10023. Seit drei Wochen sitzen der 47jährige Ilie aus Galati und sein Matrose Bjutesan Gigj in Regensburg fest und warten. Sie hatten Chemikalien nach Deggendorf gebracht und nun versperrt der Schutt der zerstörten Donaubrükken in Belgrad den Weg zu ihrem Heimathafen Giurgiu, 60 Kilometer südlich von Bukarest.

Nun vertreiben sich die beiden die Zeit beim Spielen mit ihren zwei Hunden, bei kleineren Reparaturen oder Verschönerungsarbeiten und bei einer Dose Bier. Oder auch mehreren, wie der Berg von Aluminiumbüchsen auf dem Deck beweist.

Seit Nato-Bomben die Brücken trafen, ist die längste Wasserstraße Mitteleuropas unterbrochen – mit katastrophalen Folgen für die Donauschiffahrt. Regensburgs Hafenmeister Uwe Raschke verzeichnet einen 30prozentigen Rückgang der Frachtschiffe. Zwar macht der Warenaustausch mit serbischen Häfen mit 35.000 Tonnen im Jahr nur einen Bruchteil der Gesamtumschlagsmenge von 2,7 Millionen Tonnen des Regensburger Hafens aus, doch Jugoslawien ist für die Donauschiffer weniger das Ziel-, sondern vielmehr das Transitland zum Schwarzen Meer und zurück. Insgesamt zehn Millionen Tonnen Kohle, Erz, Stahl, Getreide, Futtermittel und Baustoffe werden pro Jahr auf dem Wasserweg durch Jugoslawien befördert.

„Der Markt ist völlig zusammengebrochen“, sagt Klaus Wolf, stellvertretender Vorsitzender des Bundesverbands der Selbständigen Abteilung Binnenschiffahrt. „Die positive Tendenz aus den letzten Jahren ist dahin“, fügt er hinzu. War mit dem Ende der Sowjetunion und dem Embargo gegen Jugoslawien im Bosnienkrieg die auf der Donau beförderte Frachtmenge rapide gesunken, verzeichneten die Donauschiffer nun wieder bessere Geschäfte. Zuwachsraten von 1,5 Prozent pro Jahr prognostizierten die Experten.

Gute Geschäfte erhoffte sich auch die Köln-Düsseldorfer Deutsche Flußkreuzfahrten GmbH im Passagierverkehr auf der Donau. Der Luxusliner „Austria“ mit 91 Kabinen sollte die Linie Passau-Wien-Passau fahren – sieben Tage und Nächte für knapp 2.000 Mark pro Passagier. Da das Schiff für den Rhein-Main-Donau-Kanal zu groß war, ließ man es für 800.000 Mark von Antwerpen über die Nordsee, den Atlantik, das Mittelmeer nach Constanta ins Schwarze Meer schleppen. Von dort aus sollte es donauaufwärts nach Passau fahren und am 10. April zu seiner Jungfernfahrt nach Wien ablegen. Daraus wurde nichts. Seit Wochen liegt die „Austria“ in Constanta fest. Auf „mehrere 100.000 Mark Ausfall, bis jetzt“, beziffert Klaus Zimmer von der Köln-Düsseldorfer die Einbuße.

Das reicht bei der Gerhard Meier Gruppe, die 155 Schiffe mit einer Kapazität von 210.000 Tonnen auf der Donau betreibt, bei weitem nicht aus. Zur Meier-Gruppe gehören die Bayerische Lloyd in Regensburg und die DDSG Cargo, das größte Schiffahrtsunternehmen in Österreich. Allein die DDSG macht durch die Donausperre in Jugoslawien pro Tag etwa eine Million Schilling Verlust. Keine Versicherung begleicht den kriegsbedingten Ausfall. Die Fracht bleibt im Hafen, die Lagerkosten summieren sich von Tag zu Tag. Außerdem liegen, so Hans Frank, Vorstand der Gerhard Meier Gruppe, rund 30 Schiffseinheiten östlich von Jugoslawien fest. Gedrängt von den Kunden, die lieber heute als morgen auf die Straße oder die Schiene umsteigen würden, versuchen die Schiffsspediteure fieberhaft neue Transportwege auszuloten. Erst gestern wurde die Fracht eines mit Zucker beladenen Schiffes in Regensburg auf zwei kleinere Lastkähne umgeladen, die dann über den Rhein-Main-Donau-Kanal nach Rotterdam schippern sollen. Dort wird wieder umgeladen und es geht über den Seeweg zum Schwarzen Meer. „Es gibt schon noch Möglichkeiten“, versucht Frank Optimismus zu verbreiten, obwohl auch er nach einem etwaigen Kriegsende mit noch einmal „fünf bis sechs Monaten Wartezeit“ rechnet, bis der Schiffsverkehr durch Jugoslawien wieder aufgenommen werden kann.

Derweil geht den ausländischen Kapitänen und Matrosen, die in Regensburg und anderswo an der Donau festsitzen, das Geld langsam aus. Da kann ihnen auch der Hafen-Service des Regensburger Arbeitsamtes nicht weiterhelfen, der Tagelöhner für Arbeiten im Hafen vermittelt. „Die haben keine Chance“, sagt Herbert Gilch: Zuerst kommen deutsche Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger, dann Asylbewerber mit Arbeitserlaubnis – und dann sind alle Jobs vergeben.

Die Auslandsschiffer können jedoch nur einen Donauschiffer-Paß vorlegen, der sie berechtigt, sich in dem jeweiligen Anrainerstaat des Flusses aufzuhalten, solange ihr Schiff dort liegt. Eine Arbeitserlaubnis beinhaltet dies nicht. „Das sind doch die Ärmsten, die sind durch die kaputten Brükken regelrecht ausgesperrt, die kommen nicht mehr heim“, sagt Gilch. Selbst die Agenturen, für die die Kapitäne fahren, bäten den Jobvermittler inzwischen um Hilfe – umsonst.

Die Agentur von Ioya Ilie versucht nun, für ihren Kapitän zumindest eine Fuhre Zucker von Regensburg nach Ungarn zu organisieren. „Und in Budapest steigen wir dann sofort in den Zug nach Rumänien“, malt sich Ilie aus. Doch er weiß, daß damit seine Probleme als Donauschiffer nicht gelöst sind. „Jugoslawien ist das Problem, und die Bomben“, betont der Rumäne, während er eine Maus beobachtet, die in der trostlosen Leere des Laderaums seines Schiffes herumirrt. Mehr will der Kapitän zum Krieg nicht sagen: „Darüber sollen die großen Männer reden.

Bernd Siegler, Regensburg

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