„Waffenembargo verlängert den Krieg“

■  Jakub Krasniqi, Sprecher der UÇK, über die Auswirkungen der Nato-Angriffe auf Jugoslawien, das Verhältnis von UÇK und Allianz, die pazifistische Philosophie von Ibrahim Rugova und die Differenzen der verschiedenen Gruppen im albanischen Lager

Jakub Krasniqi bezeichnet sich selbst als Historiker. Der wegen seines Widerstandes gegen die serbische Repression mit Gefängnisstrafen bedachte Sprecher der UÇK sieht nach den Deportationen der Bevölkerung aus dem Kosovo das Abkommen von Rambouillet als gescheitert an.

taz: Die UÇK verbreitet trotz der Vertreibungen Optimismus. Gibt es wirklich noch Chancen, Kosovo zurückzuerobern, nachdem zwei Drittel der Bevölkerung vertrieben worden sind?

Jakub Krasniqi: Die Kosovo-Befreiungsarmee UÇK ist nach wie vor auf dem gesamten Gebiet des Kosovo aktiv. In manchen Gebieten sind wir stärker als in anderen. In den meisten Gebieten sind wir gezwungen, in Verteidigungspositionen zu gehen, weil wir nicht genug Waffen haben. In einigen Gebieten können wir aber schon zu Offensivaktionen übergehen. Nach den Bombardierungen von Teilen der militärischen und kriegswichtigen zivilen Infrastruktur durch die Nato könnten die Bedingungen für unseren Kampf viel besser als zuvor sein. Wir befinden uns aber in einer paradoxen Situation. Auf der einen Seite kann sich die UÇK auf die moralische Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft stützen, auf der anderen Seite wird die Möglichkeit, uns zu bewaffnen, eingeschränkt. Es gibt immer noch das Waffenembargo uns gegenüber. Gäbe es das nicht, könnten wir an schwere Waffen gelangen und damit in die Offensive gehen. Der Krieg würde dann nicht mehr lange dauern.

Haben Sie erwartet, daß nach den ersten Bombenangriffen es zu den Deportationen und dem Exodus eines großen Teils der Bevölkerung kommen würde?

Ja, wir haben über eine solche Möglichkeit nachgedacht. Einige radikale Politiker und Zirkel in Belgrad hatten mit dieser Konsequenz gedroht, aber wir glaubten auch, daß Serbien alle seine Kräfte auf die Abwehr der Luftangriffe richten würde. Wir konnten uns nicht vorstellen, daß sich der Haß auf die zivile Bevölkerung richten würde. Die Deporationen begannen in den Dörfern und wurden dann in den Städten fortgesetzt.

Der Krieg und die Vertreibung haben in bestimmten Gebieten ja schon im letzten Jahr stattgefunden, die Dörfer wurden zerstört. Wie kommt es, daß nach all diesen Erfahrungen die Bevölkerung der Städte so ruhig geblieben ist und sich ohne Widerstand einfach vertreiben ließ?

Dies ist das Resultat einer bestimmten politischen Philosophie, die von der Demokratischen Liga Kosovos und anderen politischen Kräften getragen wurde. Es ist die Philosophie des friedlichen und passiven Widerstandes, die in diese Lage führte. Denn diese Philosophie ist auch die Philosophie der Sklaverei, sie enthält die Hoffnung, die Befreiung würde von außen kommen, nicht aus sich heraus. Eine politische Bewegung wie diese kann jedoch leicht überrollt werden. Nach dem Beginn der Deportationen verließen diese Politiker das Kosovo, manche schon vorher. Dies hat uns nicht überrascht, denn sie haben seit Jahren eine Politik betrieben, die gegen den bewaffneten Widerstand gerichtet war. Die Leute, die den friedlichen Widerstand propagiert haben, fühlten sich in Prishtina sicher und ignorierten die Lage auf dem Lande. Einerseits glaubten sie, der Krieg würde in den Bergen gewonnen werden und die Freiheit käme von dort und von selbst. Andererseits jedoch kalkulierten manche, der Krieg würde verloren werden, damit machte es keinen Sinn, an ihm teilzunehmen. Die Politiker des friedlichen Widerstandes wurden so zu Geiseln der serbischen Politik. Das Schicksal von Ibrahim Rugova überrascht uns nicht, es ist die logische Folge seiner politischen Philosophie. Man sagt, dies sei eine pazifistische Politik, in Wirklichkeit ist sie passiv, eine Politik, die der Repression nichts entgegensetzt, die sie sogar akzeptiert.

Jetzt kämpft die Nato gegen Miloevic. Wie ist das Verhältnis von UÇK und Nato?

Wir bekämpfen den gleichen Feind. Sagen wir, die Nato und die UÇK sind inoffiziell Alliierte, es gibt ein gegenseitiges Verständnis.

Wie hat sich die Aktion der Nato auf die militärischen Fähigkeiten der UÇK ausgewirkt. Gibt es eine direkte Zusammenarbeit?

Die Bombardements haben bisher in Kosova noch keinen großen Effekt gehabt. Mit der Zerstörung eines Teils der serbischen militärischen Struktur wurde die operative Autonomie der serbischen Seite limitiert. Die serbische Seite hat jetzt Probleme mit der Kommunikation, die Mobilität der gepanzerten Fahrzeuge ist eingeschränkt, und sie hat keine Unterstützung durch die eigene Luftwaffe. Wenn die UÇK die Erlaubnis erhielte, Waffen zu kaufen, würde der Krieg verkürzt. Auch dann, wenn es zu einem Einsatz von Bodentruppen der Nato kommen würde. Wenn aber nur mit den Luftangriffen operiert wird und das Waffenembargo andauert, wird der Krieg sehr, sehr lange dauern.

Was ist der Status der UÇK in Albanien?

Albanien hat die Regierung von Hashim Taqi wie auch unsere Armee anerkannt.

Aber in Tirana findet man ebenfalls das Büro des Exilpremierministers Bujar Bukoshi wie auch die Botschaft, die unter dem Einfluß Rugovas steht.

Beide Strömungen haben keinen Einfluß auf die UÇK und im Kosovo, dafür aber im Ausland. Die diplomatischen Aktivitäten dieser Leute schaden mehr, als daß sie den Kampf für die Befreiung des Kosovo unterstützen. Wir werden der Abhängigkeit von Kriminellen bezichtigt. Dies ist unwahr. In mehreren Ländern wurden deshalb Hürden aufgebaut, andere Länder haben großes Verständnis für unsere Aktivitäten.

Warum überwinden die Kosovaren ihre Grabenkämpfe nicht und bilden eine Regierung?

Wir sind mit zwei politischen Konzeptionen konfrontiert. Die UÇK glaubt nicht, daß Demokratie und Freiheit vom Himmel fallen, sondern daß man dafür kämpfen muß. In Rambouillet haben wir eine Übereinkunft zwischen allen politischen Strömungen der Albaner und der UÇK erreicht. Rugovas Partei hat danach einige Posten in der Regierung Hashim Thaqi zugesprochen bekommen, bisher warten wir vergeblich darauf, daß die Minister erscheinen. Unser Ziel ist klar: In Rambouillet haben wir ein Dokument unterzeichnet, das uns die Unabhängigkeit nicht verbürgt. Mit den Vertreibungen wurde das Abkommen von Rambouillet hinfällig. Wir wollen ein freies, unabhängiges Kosova, das sich als moderner, demokratischer Staat in ein friedliches Europa einfügen kann. Interview: Erich Rathfelder, Tirana