„Der Stein auf unserer Seele“

■ Null plus null ist nuller: Rudolf Scharping schreibt in der „FAZ“

Diese Überschrift zierte vergangenen Montag einen FAZ-Riemen von Rudolf Scharping, eine Antwort auf einen früheren FAZ-Beitrag des ungarischen Schriftstellers György Konrád. Konráds kluger Artikel steht hier nicht zur Debatte. Es geht einzig und allein um den von Rudolf Scharping – ein Muß für jeden, der in den letzten Wochen nicht alle Ausführungen Scharpings zum „Krieg gegen Miloevic“ verfolgen konnte.

Sorg- und sinnlos aneinandergereiht stehen da die Statements, die der vom Verteidigungs- zum Kriegsminister aufgestiegene Mann in letzter Zeit abgesondert hat, noch einmal schwarz auf weiß, rhetorische Nullnummern wie „Im Kosovo herrscht Terror“ oder „Frieden ist die Anwesenheit von Versöhnung“ z.B. Aber auch alle, die bei den „Tagesthemen“ immer schön aufgepaßt haben, kommen bei der Lektüre auf ihre Kosten. Denn der Phrasendreschmaschinist des Staates bricht alle mathematischen Regeln, und null plus null ist nicht mehr null, sondern nuller: „Rogova und Neprosteno sind Wirklichkeit am Ausgang des zwanzigsten Jahrhunderts, nicht etwa Drehorte, die man zum ,Schweigen der Lämmer' hergerichtet hätte.“

„Schweigen der Lämmer“? – Mäh, mäh, mäh, Herr Scharping, möchte man blöken, da stimmt etwas nicht, jetzt sind Sie im falschen Film, dieses Drehbuch muß Ihnen eine Radspeiche geschrieben haben! Fabula rasa jedoch macht Scharping, wenn er schreibt: „Herz und Verstand, Wissen und Hoffen, Denken und Handeln, Politik und Moral gehören zusammen. Wer sie trennt, sieht sich bald egoistischen Menschen, kalten Gesellschaften, nackter Technokratie gegenüber.“ Ein Satz, kuschelig und weich wie ein Schlafsack der Bundeswehr. Jedem angehenden Politikwissenschaftler jedoch, der gerade seinen Wehrdienst absolviert und sein Hirn am Kasernentor wieder abgeholt hat, wird eingehämmert, daß „Politik und Moral“ nicht zusammengehören. „Wissen und Hoffen, Denken und Handeln“ im übrigen auch nicht, weshalb wir uns ja auch so vielen entbarteten Scharpings gegenübersehen; Menschen jedenfalls, die Sätze schreiben dürfen wie: „Wenn neunzehn Demokratien heute zu militärischen Mitteln greifen, dann deswegen, weil jeder Verhandlung mit Miloevic früher oder später neue Greueltaten gefolgt sind.“ „Wenn neunzehn Demokratien ...“ – die Einleitung eines Postulats, das Scharpings Alt-68er-Kollegen Schröder und Fischer einst, als sie noch Rückgrat hatten, mit einer Postkarte beantwortet hätten: „Eßt mehr Scheiße – zwei Millionen Fliegen können sich nicht irren.“

Over the top of himself ist Scharping, der in den letzten Wochen häufig leichtfertig von „KZs“ und „Völkermord“ schwurbelte, wenn er in seinem Artikel Einsicht zeigt. Reumütig gesteht er: „Vergleiche mit den Nazis mögen hier und da hinken ...“ Eineinhalb Sätze später allerdings zieht er sich endgültig das Tarnnetz vom Kopf: „Wer mit derselben fanatischen Überzeugung Menschen systematisch mordet, vertreibt, vergewaltigt und ihrer elementaren Rechte beraubt, dem muß mit aller Macht in den Arm gefallen werden.“ Aber was soll denn das nun wieder heißen? Will Scharping ihm – eigentlich – in den Arsch treten? Oder will er Miloevic wirklich auf einer grünen Wiese, vielleicht dem Amselfeld, entgegenhoppeln, ihn hochreißen, an die Brust drükken und zärtlich kosen?

Ein gewolltes Mißverständnis, zugegeben. Angesichts der unzähligen Ungereimtheiten in seinem Text kann man aber davon ausgehen, daß Scharping diese Platitüde zwar zur richtigen Zeit an den richtigen Platz gesetzt hat, aber das auch nur, weil ihm eine Freudsche Fehlleistung unterlaufen ist: Wenn Scharping nämlich Miloevic „in den Arm fallen“ will, liebt der Kriegsminister seinen Feind für das, was er ist: sein Feind. So ist es auch kein Wunder, daß Scharping im weiteren resümiert: „Unsere Ideen reichen weiter als unsere Möglichkeiten, sie glaubwürdig zu vertreten.“

Vielleicht sollte sich Scharping einen Ghostwriter suchen. Daß er keinen hat und alles, was in dem FAZ-Artikel steht, auf seinem eigenen Unvermögen beruht, beweist auch der letzte Satz, mit dem die Beschreibung einer friedlichen Zukunft endet, die Scharping durch Schulbücher zu erreichen wünscht. Hoffentlich will er die nicht auch noch schreiben, denn da steht: „Wenn uns dies einst gelingt, dann rollte mir der schwerste Stein von der Seele.“ Da sagt doch jeder Deutschlehrer: „Bild schief, Tempus falsch; sechs und sitzengeblieben!“

Konfuzius hat sinngemäß gesagt: Wenn die Begriffe falsch sind, werden die Worte falsch, wenn die Worte falsch werden, werden die Handlungen falsch, und wenn die Handlungen falsch werden, kann ein ganzes Volk untergehen. In diesem Fall trifft es wohl erst einmal das serbische, obwohl doch das deutsche Volk einen Analphabetenminister gewählt hat.

Ja, ein Ghostwriter täte ihm gut. Trotzdem sollte künftig jeder bei einem Artikel, dessen Autor Rudolf Scharping ist – egal von wem er tatsächlich verfaßt wurde –, die ungedruckte Unterzeile der Überschrift automatisch mitlesen: „Der Durchfall in meinem Kopf“.

Björn Blaschke