piwik no script img

Pazifisten: Die Grünen sind jetzt eine Kriegspartei

■ Linke kündigen ihren Parteiaustritt an – sie wollen ein bundesweites Netzwerk gründen

Berlin/Hamburg (taz) – Nach dem Kosovo-Beschluß des Bielefelder Sonderparteitages wollen Gegner von Außenminister Fischer die Grünen verlassen, aber keine neue Partei gründen. Aus Protest gegen die grundsätzliche Zustimmung der Grünen zum Kriegskurs der Regierung kündigten Vertreter des linken Parteispektrums sofort nach dem Parteitag an, ein bundesweites Netzwerk für die Vertretung ihrer Positionen zu bilden. Dazu beriefen sie für den 6. Juni ein Treffen ein, teilte ihr Wortführer Eckhard Stratmann mit. Stratmann, Gründungsmitglied der Grünen und in den 80er Jahren Bundestagsabgeordneter, hatte noch am Donnerstag abend in Bielefeld seinen Austritt aus der Partei angekündigt.

Die Grünen-Spitze rechnet nicht mit einer Spaltung der Partei, befürchtet jedoch negative Auswirkungen des Streits um die Kosovo-Politik auf die Europawahl am 13. Juni. Hauptaufgabe sei es jetzt, die beiden Flügel wieder zusammenzuführen, sagte Vorstandssprecherin Antje Radcke. Die Gründung einer Gegenpartei halte sie eher für ausgeschlossen. Es könne jedoch sein, daß sich „eine Art Gegenbewegung“ gründe. Die linke Bundestagsabgeordnete Annelie Buntenbach sprach sogar von einem klaren „Paradigmenwechsel“. Teile der Partei könnten künftig auch für die PDS votieren, weil sie sich dort besser aufgehoben fühlten, meinte sie. „Die Austrittswelle läuft nach dem Parteitag erst richtig an.“ Buntenbach forderte die parteiinternen Kritiker jedoch auf, nicht auszutreten, sondern innerhalb der Grünen gegen den Krieg in Jugoslawien zu kämpfen. Ullrich Cremer, ebenfalls Vertreter des pazifistischen Flügels, warf den Grünen vor, jetzt zur „Kriegspartei“ geworden zu sein.

In den meisten grünen Landesverbänden herrschte gestern jedoch auffallende Gelassenheit. Reiner Priggen, Vorstandssprecher in Nordrhein-Westfalen, hält es für möglich, daß „ein paar Leute“ die Partei verlassen. Aber das sei ein „ganz normalen Klärungsprozeß“, sagte er der taz. Wenn jetzt welche gingen, so Undine Kurth, die Landesvorsitzende von Sachsen-Anhalt, dann seien es meist solche, die schon länger austreten wollten. In Sachsen, Bayern, Brandenburg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen war gestern jeweils nur ein einziger Parteiaustritt zu verzeichnen. Lediglich in Hamburg wird es Abspaltungen der Partei geben. Mindestens vier linke Abgeordnete der Hamburger Bürgerschaft erwägen, aus der Partei auszutreten und eine eigene Fraktion zu bilden. Drei weitere könnten sich diesem Schritt anschließen. Die satte rot-grüne Mehrheit in Parlament und Senat der Hansestadt wäre allerdings erst in Gefahr, wenn mehr als die Hälfte der 21 Parlamentarier der Grün-Alternativen Liste den Rücken kehren würde. Jens König, Gisa Funck, Sven-Michael Veith

Berichte Seiten 3 und 4

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen