: Kultig wie die Müllabfuhr
■ Mit ihrer neuen Plakatkampagne will die SPD „deutlich machen, daß Walter Momper der Spitzenkandidat ist“. Wie bei der CDU heißen die Schlüsselwörter „Zukunft“ und „Berlin“
Peter Strieder versuchte die enttäuschten Journalisten aufzumuntern. „Lustig“ werde die SPD-Wahlkampagne schon noch werden, versprach der Parteichef, auch auf „kultige Überraschungen“ könnten sich die BerlinerInnen bis zum Urnengang am 10. Oktober gefaßt machen. Die aufmunternden Worte waren nötig. Denn das Plakat, das Strieder gestern vorstellte, erwies sich als weniger neu. Es zeigte den alten Spitzenkandidaten mit neuer Brille und abgeschnittener Glatze, dafür ohne Namen – „weil man weiß, wer Walter Momper ist“.
Einen scharfen Wahlkampf wollen die Genossen führen, das verspricht der Name der eigens engagierten Werbeagentur „peperoni.de“. Die Plakatkampagne begann vor Monatsfrist mit acht bunten Söckchen auf einer Wäscheleine, von der dem Publikum der Slogan „Willkommen im neuen Berlin“ entgegentriefte. „Wort-Bild-Spannung“ nennt sich das in der Sprache der Parteistrategen.
Jetzt wird es allmählich konkret. In der zweiten Phase der Plakatierung wollen die Sozialdemokraten „deutlich machen, daß Momper der Spitzenkandidat der SPD ist“, verriet der Parteichef. „Willkommen Zukunft“, steht daher in großen Lettern über dem Konterfei. Und damit es so richtig prickelt, folgt in kleineren Buchstaben das trotzige Bekenntnis: „Berlin bleibt doch Berlin.“
Bei der Deutung der Wahlkampf-Lyrik war Strieder dem Publikum behilflich. „Der Veränderungsprozeß Berlins muß gestaltet werden“, sagte er, „nicht weggeschoben oder ausgesessen.“ Bei allem Wandel müßten sich BerlinerInnen in ihrer Stadt aber „weiterhin wohl fühlen“ können: „Wir überlassen es nicht denen, die von außen kommen, zu bestimmen, was Berlin sein soll.“
So ähnlich klang es auch bei Eberhard Diepgen, der den CDU-Parteitag vor zehn Tagen auf den Wahlkampf eingeschworen hatte. „Wir schaffen das neue Berlin, eine Stadt, in der man leben, arbeiten und vor allem sich wohl fühlen kann“, hatte der Regierende Bürgermeister verkündet, „unsere Stadt hat soviel Zukunft wie lange nicht mehr.“ Aber die Berliner wollten, auch darauf hatte Diepgen beharrt, „bei allem, was Berlin betrifft, mitbestimmen“.
Beide Parteien, soviel ist sicher, suchen die erfolgreiche SPD-Kampagne vor der letzten Bundestagswahl zu adaptieren. So hat auch das SPD-Plakat seinen Zweck mit der medienwirksamen Enthüllung bereits erfüllt, auch wenn der Form halber 100 Exemplare noch zehn Tage lang im Stadtbild präsent bleiben. Die „nächste Hängung“ solle erst im Juli folgen, so Strieder, „dann wird es auch Themenplakate geben“. Schließlich wollen die Genossen auf ihrem Landesparteitag am 3. Juli ein Wahlprogramm verabschieden. Dann wollen es die So-zialdemokraten so halten wie die Berliner Stadtreinigung, deren Sympathiewerbung für die Müllabfuhr bereits Kultstatus hat: Sie wollen die Motive auch als Postkarten unters Volk bringen.
Ralph Bollmann
Seite 21
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen