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Ein Rassismus namens Armut

Gute Lehrer sollen die schulischen Nachteile von Afro- und Lateinamerikanern in den USA ausgleichen. Sie sind aber selbst Geringverdiener  ■ Aus Los Angeles Christian Füller

Nur äußerlich ist die Hamilton High School eine ehrwürdig-ruhige Lehranstalt. Durch ein ausladendes Steinportal betritt man den Klinkerbau in Los Angeles' Süden – und findet sich inmitten einer quirligen Menschenmenge wieder. Schwarze, Zuwanderer aus Lateinamerika und eine Handvoll Weiße lassen den Pausenhof der Hamilton High School wie eine Miniatur des Melting Pott erscheinen, der friedlichen Mischung von Kulturen in den Vereinigten Staaten von Amerika.

Für 80 Prozent der Hamilton-Schüler aber besteht kein Anlaß mehr, die amerikanische Saga des fröhlichen Multikulti weiterzuträumen. Die Latinos und Afroamerikaner unter den 2.800 Schülern unterscheiden sich nicht nur in der Hautfarbe von den Weißen – sie haben auch viel schlechtere Noten als ihre weißen Mitschüler. Für viele der Schwarzen und Hispanics ist die Ursache der Leistungsunterschiede eindeutig: Benachteiligung aufgrund von Herkunft. Bei einer Demonstration vor der Schule verlangten sie, „rassistische Lehrer zu entlassen“.

Die Leistungsunterschiede an der Hamilton High School verlaufen präzise entlang der Hautfarbe: Die wenigen weißen Schüler sind in Lesetests im Schnitt um 15 Prozent besser als Schwarze. In Mathe liegen sie um ein Viertel über dem Schnitt ihrer farbigen Mitschüler. „Rasse ist für manche Lehrer ein Kriterium, nach dem sie Bildung vermitteln“, macht Wil C. Wade die Lehrer für die Leistungsdifferenzen verantwortlich. Wade sitzt einer afroamerikanischen Elterngruppe der Schule vor.

Der Mann hat keine Lust mehr, die Notenunterschiede weiter hinzunehmen. Schwarze und Hispanics bestimmen das multikulturelle Alltagsbild in den USA, in manchen Regionen stellen sie die Mehrheit. Eindeutig in der Minderheit sind sie jedoch in den Spitzenfunktionen von Wirtschaft, Justiz und Politik, bei der Polizei und auch in der Lehrerschaft.

Die Leistungsdifferenzen der Hamilton High School herrschen fast in allen US-amerikanischen Schulen, die dem Phänomen keine Aufmerksamkeit widmen. Nur jeweils 17 Prozent der Schwarzen- und der Hispanic-Jahrgänge erbringen die schulischen Leistungen für einen Uni-Besuch; bei den Weißen ist es die Hälfte, bei den Schülern asiatischer Abstammung sind es rund 86 Prozent, die notenmäßig fit sind für die akademische Laufbahn.

„Wir sehen diese Zahlen als ein Zeichen dafür, daß unser Schulsystem versagt“, sagt Phyllis Hart. Sie leitet das Achievement Council von Los Angeles. Die unabhängige Organisation will die Leistungsunterschiede beseitigen: „Unser Job ist nicht getan, solange nicht alle Schüler akademisch auf das höchste Niveau vorbereitet sind.“

Schulrat Merle Price will das Problem lieber auf die amerikanischen Grundschulen abschieben. „Die Ursachen für die schlechten Leistungen sind weit vor der High School zu suchen“, meint Price. Seine Aufgabe besteht derzeit darin, den Rektor der High School vor unangenehmen Fragen abzuschirmen. Price fallen alle möglichen Ursachen für den unterschiedlichen Bildungsstand ein – außer rassistischen.

„Der Hauptgrund dürfte wohl in der Armut liegen“, meint Price – und beschließt seine Ursachenforschung. Price stellt damit de facto die Schullaufbahn von 75 Prozent der Schüler im gesamten Los Angeles Unified School District in Frage: Drei Viertel des mit 700.000 Schülern zweitgrößten Schuldistrikts der USA stammen aus Elternhäusern, deren Einkommen zu freier oder bezuschußter Schulspeisung berechtigen würde – sie sind arm. Es handelt sich dabei fast ausschließlich um Schwarze und Hispanics.

Im Innenhof der Hamilton High School werden die Kinder der vermeintlichen Minderheit gut behütet. Überall stehen schuleigene Sicherheitsbeamte. Rektor David Winter posiert an zentraler Stelle – über ein Funkgerät mit den Lehrern verbunden, von denen 70 Prozent Weiße sind.

„Manche Lehrer glauben ganz fest daran, daß bestimmte Schüler es nicht draufhaben“, berichtet Kathleen Cross, die für das Achievement Council arbeitet. Sie hat mit Paukern der Hamilton High School gesprochen und herausgefunden, daß „die Probleme gar nicht rassistisch motiviert sind“. Cross umschreibt so diplomatisch Vorurteile, die sich nicht direkt an der Hautfarbe festmachen – sondern an Kleidung, Sprache und Habitus der Schüler, die sie für Lehrer in der Schublade „nicht lernfähig“ verschwinden läßt. Solche Lehrer fordern ihre Schüler nicht mehr. Der Teufelskreis aus Armut, verpaßter Bildung, schlechten Jobchancen und wieder Armut setzt sich fort. Es gebe Lehrer, erklärt Cross, die sich gar nicht bewußt sind, daß sie ihr Verhalten ändern müssen, damit die Schüler besser werden. „Wir glauben dagegen, daß das Engagement der Lehrer sich auszahlt.“

Tatsächlich gibt es immer wieder leuchtende Beispiele von Lehrern, die Armut, Rassenhaß und widrige Umstände überwinden. Die US-weit berühmte Chicagoer Grundschullehrerin Karla Kelly zum Beispiel, die in einem der ärmsten Quartiere der USA unterrichtet – 84 Prozent der Bewohner der Robert Taylor Homes verdienen weniger als 10.000 Dollar im Jahr – : Sie zeigt ihren Schülern täglich, daß Martin Luther Kings „I have a dream“ die Wirklichkeit manchmal bestimmen kann.

An Los Angeles' Hamilton High School ist es anders. Die Sprachlosigkeit zwischen den Gruppen geht hier so weit, daß sich schwarze Elternvertreter weigern, mit dem weißen Rektor Winter die Situation auch nur zu besprechen. Selbst die unabhängigen Vermittler, die Winter letztes Jahr an die Schule gebeten hat, haben noch keinen der erbosten Afroamerikaner zu Gesicht bekommen. „Wir verhandeln mit denen [von der Schulbehörde] über gar nichts, Mann“, fährt die 17jährige Kwabena Haffar aus der Haut. „Wir wollen zum Gouverneur!“

Ob sich Haffar da nicht falsche Hoffnungen macht? Anders als in Staaten wie North Carolina, wo Gouverneur Jim Hunt „das beste öffentliche Schulwesen aller Staaten in den USA aufbauen“ will, zählen Schulen in Kalifornien politisch wenig. Von den Pro-Kopf-Ausgaben her rangiert das Land auf dem traurigen 46. Platz der 51 Staaten. Die Einkommen der Lehrer aber, auf die es ankommt, gehören in den ganzen USA zu den niedrigsten. In manchen Regionen wechselt ein Viertel der Junglehrer innerhalb der den ersten fünf Arbeitsjahren den Job.

„Wir haben eine Menge Lobbyisten, die für Bildungsdollars kämpfen“, sagt der Sprecher des Schuldistrikts Los Angeles, Patrick Spencer, und fügt hinzu: „Die meisten Schüler gehören Minderheiten an – aber die wenigsten Steuerzahler und Abgeordneten.“

Der Namensgeber der Hamiltonschule ist ein ehrwürdiger Mann, einer der Gründerväter der USA. Ein Satz von Alexander Hamilton, der nicht an der Fassade der nach ihm benannten Schule steht, lautet: „Alle Gesellschaften teilen sich in die Reichen, Wohlgeborenen und die Massen des Volkes ... Das Volk wandelt sich alle Zeit; es urteilt selten richtig. Gebt daher der ersten Klasse einen dauerhaften Anteil an der Regierung. Sie wird die Unstetigkeit der zweiten kontrollieren, und weil sie keinen Vorteil von einem Wechsel erhalten, werden sie ewig eine gute Regierung bewahren.“

„Rasse ist für manche Lehrer ein Kriterium, nach dem sie ihren Schülern Bildung vermitteln.“

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