: „Haben Sie ein Handy?“
Der NDR unterzieht Studenten, die keine TV-Gebühren zahlen wollen, einer peinlichen Befragung. Datenschützer: Übertrieben ■ Von Georg Löwisch
Ob es in Deutschland einen Sender gibt, der so fleißig recherchiert wie der NDR? Nun da ist „Panorama“, das sich rühmt, „mit seinen Recherchen immer wieder für Zeitungsschlagzeilen“ zu sorgen. Oder die „Tatort“-Detektive Stoever und Brockmöller, die beim Recherchieren gern noch singen. Vielleicht hat es mit dieser guten Tradition des Ermittelns zu tun, daß sich in diesem Feld auch die Verwaltung in jüngster Zeit besonders anstrengt. Die Abteilung für Rundfunkgebühren hat ein System entwickelt, das jedem Hauptkommissar zur Ehre gereichen würde: Studenten, die sich von der Rundfunkgebühr befreien lassen wollen, bekommen von ihr seit neuestem einen vierseitigen Fragebogen. Dort fragt der Sender nicht nur, wieviel der Student verdient. Er soll auch aufzählen, was er monatlich sonst so ausgibt.
Dabei ist die Gebührenpflicht einfach geregelt: Jeder muß 9,45 Mark pro Monat zahlen, der ein Radio „zum Emfpang bereithält“. Wer noch einen Fernseher hat, zahlt insgesamt 28,25 Mark. Doch wer sehr wenig verdient, Sozialhilfe erhält oder studiert, kann sich von der Gebühr befreien lassen. Wieviel man verdienen darf, steht in Verordnungen aller Länder: Es muß weniger sein als der anderthalbfache Sozialhilfesatz – je nach Ort rund 800 Mark – plus Miete. Wer weniger verdient, geht zum Sozialamt, doch entscheiden darf letztlich die ARD-Anstalt.
Im Norden kommen die Studierenden nicht mehr so leicht davon. Sie müssen sich dem NDR-Formular stellen. Dort stellt der Sender peinliche Fragen: Die Eltern sollen z.B. auflisten, ob sie ihrem Kind im Monat „sonstige Sachleistungen z. B. Verpflegung, Bekleidung, Bedarfsartikel des täglichen Lebens“ geben und wieviel diese Leistungen „in Geldeswert“ ausmachen. Ein neues T-Shirt von Mami? Ein Duschbad von Papi? Nicht ohne, daß der NDR es wissen muß. Darunter droht der NDR, „daß bei falscher Auskunft versuchter oder vollendeter Betrug vorliegen kann“.
Die Unterschrift, die der NDR von Vater und Mutter verlangt, genügt dem Sender nicht. Die Studenten sollen „sonstige Einkünfte“ aus Jobs angeben und Lohnzettel oder Steuerkarte beilegen. Auch was der Student mit seinem Lohn macht, will der NDR ganz genau wissen – nicht nur die Miete: Telefon-/Handygebühren, Kabel-/Internetgebühren, Fahrtkosten, Studienmaterial, PKW-Unterhaltung und zu alles zum Thema Versicherungen. Nicht zu vergessen: „entsprechende Nachweise“. Wem dann immer noch etwas einfällt, darf ein leeres Feld für „sonstige Belastungen benutzen“.
Auch wer hier schlampen will, wird gewarnt: „Bei falscher Auskunft versuchter oder vollendeter Betrug“. Unvollständige Anträge würden wohl abgelehnt.
Aber wozu muß der NDR all das wissen? Der Kieler Asta vermutet einen Trick: Abzüglich aller Telefon- und Versicherungsausgaben soll einem Studenten in der Rechnung am Schluß so wenig Geld bleiben, daß ihm niemand mehr abnimmt, davon leben zu können. „Ansonsten soll bereits der Arbeitsaufwand für das Ausfüllen und das Beibringen der Kopien abschrekken“, vermuten die Studentenvertreter.
Der NDR nennt die Fragerei lieber ein „geordnetes Verfahren mit objektivierbaren Ereignissen“. Eine andere Prüfung sei bei der „deutlich gestiegenen Zahl der studentischen Befreiungsanträge“ nicht zu leisten, sagt NDR-Sprecher Martin Gartzke. Außerdem sei der Fragebogen nur für Fälle, die nicht von den Sozialämtern erledigt würden.
„Unverhältnismäßig“, schimpft indes der stellvertretende Daten-schutzbeauftragte von Schleswig-Holstein, Thilo Weichert. „Wir sind befremdet über Umfang und Detailliertheit dieses Fragebogens“. Kein Sozialamt wolle es so genau wissen. Nur: Für den Datenschutz beim NDR sind nicht die Datenschützer, sondern der Sender selbst zuständig. Dort beruhigt Sprecher Gartzke: Die Fragen seien „hinsichtlich ihrer rechtlichen Zulässigkeit eingehend geprüft“.
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