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Strom von der Börse

■  Hannover, Düsseldorf und Leipzig streiten um Handelsplätze für Elektrizität. Bald gibt's Watt aus der Dose von der Börse

er heute als Kunde Strom kauft, hat die Qual der Wahl. Entweder bezieht er seinen elektrischen Saft bei seinem Stadtwerk, beim Ökostrom-Händler oder direkt bei konventionellen Produzenten wie RWE und Bayernwerk. Mit der vor gut einem Jahr in Kraft getretenen Liberalisierung des Strommarktes hat sich der Wettbewerb aber schon gewaltig verändert. Nationale und internationale Stromhändler tauchen verstärkt auf, bieten ihr Produkt oft zu günstigeren Preisen und Konditionen an als die alten Haus- und Hoflieferanten. Die Bandbreite des Angebots wird täglich umfangreicher, der Handel mit Strom könnte ähnlich wie der mit anderen Waren schon bald über eine Börse abgewickelt werden: Auf dem Parkett würden dann nicht Aktien von VW, Thyssen und Telekom gehandelt, sondern Kilowattangebote von Stromversorgern. Zum besseren Verständnis: Schon lange handeln die großen Energieversorgungsunternehmen über ihre Zentrale im rheinischen Brauweiler bei Köln staatenübergreifend mit Strom. Dieser Handel ist einfach strukturiert, er setzt dann ein, wenn einzelne stromschluckende Unternehmen weniger Strom zur Verfügung haben, als sie gerade benötigen – also in den sogenannten Spitzenlastzeiten. Die großen Versorger greifen sich dann gegenseitig unter die Arme, auf der Basis von bilateralen Verträgen helfen sich die Konzerne mit Strommengen aus.

Bei einer Börse läuft die Sache etwas anders. Vergleichbar zum Aktienhandel sind alle Angebote und Preise von aktuell verfügbaren und noch nicht produzierten Strommengen gespeichert und stehen den Orderwünschen gegenüber. Ein Novum in Deutschland, denn so einen Stromhandel via Börse gibt es zur Zeit hierzulande noch nicht.

Die Standortfrage wird derzeit heftig diskutiert. Düsseldorf wäre als Handelsplatz nach Meinung vieler Branchenkenner ideal. Schließlich werden in Nordrhein-Westfalen 30 Prozent des Stroms erzeugt und immerhin 40 Prozent verbraucht. Leipzig und Hannover haben auch schon Ansprüche angemeldet, Frankfurt ist für viele Börsianer ein Wunschkandidat. Doch egal, wo die deutsche Strombörse installiert wird, es dürfte auf jeden Fall ein interessantes Geschäft werden. Für die Ware „Elektrizität“ wurden Börsen erst vor wenigen Jahren geschaffen. Vorreiter sind Skandinavien, Großbritannien und die Vereinigten Staaten. Die Gründe für den späten Start sind vor allem in den physikalischen Besonderheiten des Stroms wie Leitungsgebundenheit und fehlende Lagerfähigkeit zu sehen. Vor drei Jahren haben sich Schweden und Norweger zu einer Strombörse zusammengeschlossen. Der „Nord Pool“ im norwegischen Oslo gilt auch deutschen Planern als Vorbild. Zur Zeit agieren etwa 200 Watt-Profis an diesem weltweit größten Handelsplatz für Energie. Stromerzeuger und Stadtwerke bieten ihre Überschüsse an. Unternehmen und Wohnungsgesellschaften können dort zum jeweiligen Tageskurs einkaufen. Der Clou: Bis mittags speichert der Computer die Angebote der Marktteilnehmer und errechnet dann den Strompreis für jede Stunde des kommenden Tages. Um Angebot und Nachfrage koordinieren zu können, reicht in Deutschland eine Börse völlig aus. Finanziell ist deren Aufbau keine sonderlich komplizierte Sache. Für die notwendigen Computer müßten knapp zehn Millionen Mark aufgewendet werden. Mehr als eine Handvoll Leute sind nicht erforderlich, um selbst größere Transaktionen abzuwickeln.

Bleibt die Frage, was und in welchem Volumen gehandelt wird? Für Insider steht jedenfalls fest, daß der Sockel an Grundlaststrom, der also rund um die Uhr jederzeit verfügbar sein muß, wohl auch künftig auf der Basis bilateraler Absprachen kontrahiert wird. So werden beispielsweise große Unternehmen wie VW und Ford günstige Angebote für ihr jeweiliges Strompaket über einen längeren Zeitraum bei einem Lieferanten fest bunkern.

Der Verband der Industriellen Energie- und Kraftwirtschaft in Essen hat in einem 15seitigen Arbeitspapier ein Grobkonzept für den Aufbau einer Deutschen Strombörse entwickelt. Danach könnte in einem vollständig liberalisierten Markt rund ein Viertel der jährlichen Stromproduktion über die Börse abgewickelt werden. Das wären derzeit etwa 130 Milliarden Kilowattstunden mit einem Umsatz von rund 20 Milliarden Mark pro Jahr.

Eine Strombörse macht nur dort Sinn, wo die Märkte wirklich frei sind und viele Anbieter und Nachfrager aufeinandertreffen. Beides läßt hierzulande noch zu wünschen übrig, doch die Entwicklung ist nicht mehr aufzuhalten. In deregulierten Strommärkten können die Kunden ihren Stromanbieter frei auswählen.

Auf Basis von Angebot und Nachfrage werden die Preise für Stunden-, Tages- und andere Kurzfristkontrakte ermittelt. Eine Strombörse ist also so etwas wie ein Handelsplatz, auf dem Faktoren wie Brennstoffkosten sowie Unsicherheiten über den Elektrizitätsverbrauch das Angebot und auch die jeweilige Nachfrage nach Strom bestimmen, ausgedrückt im aktuellen Strompreis. Teilnehmer am Börsenhandel können Stromerzeuger, Großkunden, Stromhändler und Weiterverteiler sein.

Eine Börse für Energie fungiert als Clearingstelle, sie übernimmt die Abrechnung, garantiert die Einhaltung der Kontrakte und überwacht Sicherheitsleistungen. In der Praxis würde das bedeuten: Eine Wohnungsgesellschaft kauft über die Börse ein bestimmtes Kontingent an Strom und erhält von dem Lieferanten den Zuschlag. Nun muß sich die Immobilienfirma auch darauf verlassen können, daß der elektrische Saft am kommenden Tag tatsächlich aus den Steckdosen der Wohnungen fließt. Dafür steht die Börse gerade. Michael Franken

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