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Kultur für Tassenbenutzer

■ Tageseinrichtung für „Menschen ohne Wohnung“, die Tasse, bietet jetzt neben Brot, Dach und Waschmaschine auch Kultur an / Freiwillige werden noch gesucht

Ein Penner interessiert sich für ein Jahresabo der Weserburg. Ein anderer ist hinter einem Konzert-abo her. Gibt's nicht? Gibt's! Selbst wenn man ganz unten ist und Oberthema das tägliche Brot und das Dach überm Kopf ist, scheint es ein unkaputtbares Bedürfnis nach Kultur zu geben. Davon jedenfalls gehen die Mitarbeiter und Förderer der „Tasse“ aus, einer Tageseinrichtung „für Menschen ohne Wohnung“. Die Tasse startete jetzt mit dem Projekt „Kultur für Obdachlose“. Junge Waldau-Künstler zeigten in der Tasse ein paar Nummern aus ihrem aktuellen Kabarett-Programm im TiK (Theater im Keller) – vor dankbarem Publikum. Beim zu Pfingsten reisenden Bolle wurde sogar zaghaft mitgesungen.

Die Tasse ist ein kleines Ladenlokal am Rand der Waller Feldmark, in der Fleetstraße 67a, nebenan ein Autoverwerter, gegenüber ein Trödelladen. Mobiliar third hand, Decke zigarettenbeige, auf einem Schrank ein Umzugskarton „Unterwäsche“. Das Publikum sonnengebräunt, viel Grauhaar, welches meist den Kragen bedeckt, auch mal Tatoo, auch mal Alkoholgelall. „Wohnungslose“, sagt Herr Friedrichs. Herr Friedrichs ist Rentner, „ehrenamtlich“ hier tätig, was er aber ungern hört, weil er nicht einmal mit Ehre bezahlt werden möchte. Was er kategorisch verneint: Daß er Leiter oder Chef sei. „Mitarbeiter“ sei er, wie alle anderen 40 Ehrenamtlichen auch, und zuständig für die Finanzen. Das Wort „Obdachlose“ treffe die Tassebesucher nicht ganz. Viele hätten nämlich ein Obdach überm Kopf, etwa im „Papageienhaus“ oder in einem vom Sozialamt angemieteten Hotel – doch „Wohnung“ könne man diese Art von Unterbringung nicht nennen. Darum „Wohnungslose“.

Diese Leute leben tagsüber mehr oder weniger auf der Straße, haben Hunger, Angst, hygienische Probleme, Krankheiten. Dafür gibt es die Tasse. Kann man dreimal die Woche nachmittags und Sonntag morgens hingehen und sich sattessen. Duschen. Kleider waschen. Auch mal Notklamotten beziehen. Entspannen. Ein Nickerchen machen. Und reden. „Informationsaustausch ist wichtig“, sagt Herr Friedrichs, „in welcher Kirchengemeinde gibt es gutes Essen, zum Beispiel.“ Seit 1993 existiert die Tasse, seit die kommunale Beratungsstelle für Obdachlose im „Viertel“ geschlossen wurde. Damals ergriffen Engagierte um die Bremer Hochschullehrerin Heide Gerstenberger die Initiative und gründeten die Tasse. Die vielleicht nur noch existiert, weil sie von Staatsknete unabhängig ist. „Wir leben nur von Spenden.“

Einige spielen „Mensch ärgere dich nicht“. Man trinkt Kaffee. Ißt Gullasch. Waldaus singen das „Lied von der Krummen Lanke“. Im Nachbarraum schleudert die Waschmaschine. Der Klassiker von der Rennbahn („Ja, wo laufen sie denn?...“) kommt prima an. Ob Kultur so wichtig ist wie Brot? Tatsache ist, daß die Idee, Pennern Kultur zu schenken, aus Hamburg stammt und daß es die Grünen waren, die das Projekt in Bremen angeschoben haben. Karoline Linnert, sozialpolitische Sprecherin der Grünen, verweist darauf, daß das Wohnungslosenthema ein grüner Schwerpunkt in der zu Ende gehenden Legislaturperiode war. Daß man die Hälfte der Einrichtungen für Obdachlose schließen und das Geld in eine bessere ambulante Hilfe stecken sollte. Und daß es nur Zufall sei, daß diese gute grüne Tat in die Wahlkampfzeit fiel.

40 bis 80 Leute kommen pro Woche, zum Sonntagsfrühstück auch mal 100. Hängt davon ab, ob's Monatsende und wie das Wetter ist. Die erste Kulturnummer jedenfalls war gut besucht, nicht alle fanden einen Stuhl.

Beim nächsten Mal wird es spannender mit der Kultur: Dann will die Ottersberger Kunsthochschule mit einem „Kreativmobil“ anrücken und mit den Pennern malen und Ton kneten ... (17. Juni). Weitere Theateraufführungen sind geplant. Intendant Pierwoß soll schon beifällig genickt haben. BuS

Kulturschaffend und guten Willens? An ehrenamtlicher Mitarbeit interessiert? Tel.: 0421 / 72 539.

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