: Fit for Drill
■ Nun entdecken auch deutsche Trendsetter den Zauber und die Faszination des Landsers
Fit for Fun ist out, der neue Hit heißt Fit for Fighting. Während dank der Nato-Bomben Serbien in Scherben liegt, während Miloevic' serbische Schergen im Kosovo morden und brandschatzen, entdecken die Trendsetter hierzulande die Faszination des Landsers, den Zauber des militärischen Drills. „Thrill of the Drill“ lautet die Losung, zu lesen auf einem Plakat in einem Studio der Hamburger Fitneßkette Meridian.
Erleben kann man den Barraszauber mit „Drill-Aerobics“, dem neuesten Schrei aus den Staaten. Schrei ist wörtlich zu nehmen. Der Trainer im Kampfanzug brüllt zackige Kommandos, die Teilnehmer/Rekruten gehorchen schwitzend, stemmen Hanteln, werfen sich vor dem Feldwebel/Trainer nieder, lassen sich zu Liegestützen, Kniebeugen und all den Quälereien zwingen, die sie in der Schulturnhalle gehaßt haben. Wie auf dem Kasernenhof gibt die Marschmusik das Tempo vor. Allerdings nicht die betulichen Märsche unserer Großväter, sondern die Marschmusik der Kids, stampfender Techno mit 160 beats per minute, gegen den der Kyffhäuser oder Preußens Gloria wie Kuschelrock anmuten.
Die Teilnehmer am Drill-Aerobic verstehen sich keineswegs als Militaristen oder Masochisten, sondern sie wollen „über ihren Schatten springen“ und „Grenzerfahrungen machen“, sagen sie. Noch sind es Trendsetter, die sich in militärischen Tarnanzügen drillen lassen, doch vieles spricht für eine Drill-Aerobic-Invasion. Ein weiterer Hamburger Fitneßunternehmer plant bereits ein Drill-Aerobic-Weekend, an dem nicht nur der Frontfeldwebel, sondern auch die Teilnehmer in Kampf- und Tarnanzügen erscheinen.
Keine Frage, Drill-Aerobic hat Zukunft. Die Zielgruppe geht weit über die übliche Fitneßstudio-Klientel der intelligenzfreien, sonnenstudiogebräunten Muskelklopse mit Breitwandgoldkette und Nackenspoiler hinaus. Beispielsweise können sensible Hundehalter sich in die Situation ihrer geliebten Bull-Mastifs versetzen, indem sie bedingungslosen Gehorsam üben und mit bedingten Reflexen auf einsilbige Kommandos wie Platz, Sitz, Auf, Ab, Links, Rechts reagieren.
Ehemalige Kriegsdienstverweigerer und Pazifisten, die jetzt die Bomben der Nato auf Bahnen, Busse, Krankenhäuser und Schulen gutheißen, unterstützen und mittragen, können hier nachholen, was ihnen als Zivi entgangen ist. Noch dementiert das Außenministerium allerdings Gerüchte, sein Chef habe einen Drill-Aerobic-Trainer eingestellt und wolle den nächsten Marathon im Military-Fashion-Outfit bestreiten, mit einer Techno-Coverversion des Radetzkymarsches von Johann Strauß dem Älteren auf dem Walkman. Führende Politiker der Nato könnten Grenzerfahrungen sammeln, ohne gleich die Grenze zwischen dem Kosovo und Albanien besuchen zu müssen.
Selbst den quietistischen Friede-Eierkuchen-Schrebergarten-Chauvinisten, die sich wohlig in ihrem Schwerter-zu-Pflugscharen-Kitsch suhlen und sich nicht damit abfinden können, daß die Zeit des Pazifismus definitiv abgelaufen ist, daß er historisch überholt, politisch tot und moralisch angeschimmelt ist, und die selbstgerecht ihren arschbequemen Fundamentalpazifismus in die Welt hinauskrähen, kann Drill-Aerobic nützen: Während des Drills im Techno-Tempo besteht weder die Gefahr des Nachdenkens, z.B. über die Lage und die Interessen der aus dem Kosovo vertriebenen Albaner, noch stellt jemand Fragen. Und der Herr Gysi braucht nicht mal Angst zu haben, im Fitneßstudio erkannt zu werden: Es gibt ja Tarnanzüge.
Darüber sollten die deutschen Pädagogen, statt „Zynismus'' zu zetern, einmal nachdenken, ob nicht der Schulsport mit Drill-Aerobics mächtig an Attraktivität gewönne. Denn mit Drill-Aerobics wächst zusammen, was eigentlich schon immer zusammengehört: Krieg und Kult, Haß und Spaß, Sack und Pack, Ach und Krach – und nicht zuletzt: die Welt und Amerika. Joachim Frisch
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen