Daumenkino: Jüdisches Leiden bindet
■ Der Zweifler und die Optimistin: Volker Koepps bewegende Filmbegegnung mit Herrn Zwilling und Frau Zuckermann
Der Kritikerliebling der Berlinale kommt ins Kino. Das ist für einen Dokumentarfilm nicht selbstverständlich. Volker Koepps „Herr Zwilling und Frau Zuckermann“ hingegen ist sogar für den deutschen Filmpreis nominiert. Von zwei stillen alten Leuten handelt er, und von dem bescheidenen Leben, das sie führen in Czernowitz, dem einstigen Zentrum jüdischer Kultur in der ukrainischen Bukowina.
Mathias Zwilling und Rosa Roth-Zuckermann gehören dort zu den wenigen Überlebenden einer untergegangenen Welt, durch deren karge Reste sie uns führen, ohne zu allzu lieblichen Erinnerungen Anlaß zu geben. Zu bitter ist dafür auch Zwillings Bilanz: „So ein verpfuschtes Leben.“ Vor dieser Resignation rettet sich Frau Zuckermann in die Gegenwart, erzählt lieber von ihrer Liebe zur Literatur, ihren Englischkursen für Ausreisewilige und der „Titanic“-Begeisterung ihrer Schülerinnen. Dazwischen gratuliert sie den Deutschen zum neuen Bundeskanzler oder zitiert François Villon im Original. Die Gedichte Paul Celans, des großen Sohnes der Stadt, kennt sie auswendig, ertragen kann sie sie nicht. „Jüdisches Leiden bindet“, sagt Frau Zuckermann. Doch ist es mehr als dieses Leiden? Hier erweist sich die suggestive Kraft eines Films ohne Worte als problematisch. Beiläufig wandert er auf den Spuren alles Jüdischen durch die Stadt und findet im erwachenden Leben der jüdischen Gemeinde, in den Rezitationen des neuen Rabbi eine andere Welt, die mit der vergangenen, der Herr Zwilling nachtrauert, und dem Heute, in dem Frau Zuckermann lebt, nichts zu tun hat.
Volker Koepp hat Material von unschätzbarem Wert zusammengetragen, doch diese gänzlich unkommentierten Bilder laufen Gefahr, zusammenzufügen, was nicht mehr zusammengehört. Sehr genau muß man daher hinhören, wenn die zwei ein einziges Mal ins Schwärmen geraten, von den wundersamen Yom-Kippur-Festen der Vorkriegszeit, als an hundert Orten der Stadt voller Hoffnung für ein besseres Leben gebetet wurde. Ganz leise sagt Frau Zuckermann: „Und nachher hat Gott sie alle betrogen.“ Die Kamera mag noch so lange von der Thorarolle zum siebenarmigen Leuchter schwenken, in der Synagoge wird sie Herrn Zwilling und Frau Zuckermann nicht finden. Doch allein dafür, dieses ungleiche Paar gefunden zu haben, gebührt Koepp Lob und Preis. Es lohnt sich, die beiden kennenzulernen. Weil sie keine unnötigen Worte machen. Weil ihre stummen Blicke alles zu sagen imstande sind. Nicht nur das Leid, auch der ganze Geist des alten Kontinents scheint bei ihnen seine Heimat gefunden zu haben. Aber es geht ihm nicht gut. In einem halbverfallenen Häuschen irgendwo in Europa schmiegt er sich an einen alten Kachelofen. Und bald ist er tot. PhB
„Herr Zwilling und Frau Zukkermann“, Regie: Volker Koepp, BRD 1999, 126 Min.
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