piwik no script img

Von Strafen und Schlußstrichen

Die Aufarbeitung von Diktaturen läßt sich nur theoretisch in Modelle fassen – Ein Kongreß auf der Suche nach Empfehlungen  ■   Aus Freiburg Christian Rath

Wie kann Strafrecht auf das Unrecht von Diktaturen reagieren – ohne dabei die Versöhnung der Gesellschaft unmöglich zu machen? Eine Frage, die weltweit nach jedem Systemumbruch neu gestellt wird und auf die das Freiburger Max-Planck-Institut (MPI) für ausländisches und internationales Strafrecht Antworten sucht. Zur Vorbereitung einer großangelegten Studie waren jetzt Juristen aus rund 20 betroffenen Nationen, von Rußland bis Chile, nach Freiburg eingeladen. Das Ziel ist ehrgeizig. In 24 Landesberichten sollen Erfahrungen mit unterschiedlichen Modellen der Vergangenheitsbewältigung zusammengetragen werden. Daraus will man bestimmte Haupttypen entwickeln und am Ende rechtspolitische Empfehlungen abgeben. Zur Diskussion stehen dabei vor allem drei Modelle der Aufarbeitung „staatsverstärkter Kriminalität“, wie Projektleiter Jörg Arnold vom MPI sich ausdrückte. Der „Schlußstrich“ geht meist mit einer Amnestie der Täter des alten Systems einher, Staaten wie Brasilien oder Ghana gelten als Beispiel. Die Militärherrscher ermöglichten den friedlichen Übergang in die Demokratie gegen Zusicherung von Straffreiheit. Das Gegenmodell ist die nachträgliche strafrechtliche Aufarbeitung, wie man sie in Ostdeutschland versucht(e), aber auch in Ruanda oder in Griechenland nach der Obristendiktatur. Ein drittes Modell stellt vor allem die „Aussöhnung“ der Gesellschaft in den Mittelpunkt. Bekanntes Beispiel ist die „Wahrheitskommission“ in Südafrika. Hier können Täter eine individuelle Amnestie erhalten, wenn sie politische Straftaten gestehen.

Doch schon die Zuordnung der Länder zu einzelnen Grundtypen stieß auf Schwierigkeiten. So gab es in Ostdeutschland nach 40 Jahren Diktatur nur rund 400 Verurteilungen (meist zu Geldstrafen), so daß manche Experten hier nicht von einem Strafverfolgungsmodell sprechen wollten. Der Elitenaustausch sei vielmehr beamtenrechtlich abgewickelt worden. In Südafrika dagegen spielt die Strafverfolgung trotz Versöhnungskommission durchaus eine relevante Rolle, denn nur ein kleiner Anteil der Amnestieanträge wurde bisher positiv beschieden. Überhaupt schienen die Mischformen so vielfältig, daß die wissenschaftliche Lust an der Modellbildung merklich nachließ.

Diskutiert wurde in Freiburg auch über die Alternativen zur nationalen Strafverfolgung. Relevant sind diese dann, wenn (wie in Chile) eine Amnestie die Aufarbeitung verhindert oder wenn (wie in Serbien) der Machtmißbrauch noch andauert. Nach dem Pinochet-Modell könnten einerseits Staatsanwälte im Ausland (hier: Spanien) aktiv werden. Denn Völkermord, Mord und Folter sind in vielen Staaten der Welt strafbar, unabhängig vom Ort der Tat. Viele bevorzugten jedoch den Aufbau einer neuen supranationalen Strafjustiz. Schon heute gibt es die Ad-hoc-Strafgerichtshöfe für Ruanda und Ex-Jugoslawien (wo jüngst Slobodan Miloevic angeklagt wurde). In einigen Jahren soll ein weltweit zuständiger Internationaler Strafgerichtshof seine Arbeit aufnehmen. In Freiburg wurden solche transnationalen Strafprozesse von Koffi Anande aus Mali als Form eines „neuen Kolonialismus des Westens“ kritisiert. Statt der Welt europäische Strafmodelle aufzuzwingen, solle sich der Westen erst einmal um die heute noch ungesühnten Taten der Kolonialzeit kümmern. Skeptisch äußerten sich auch Juristen aus Osteuropa. Der völkerrechtlich fragwürdige Serbienkrieg der Nato habe auch die Idee der internationalen Strafgerichte ins Zwielicht gerückt. „Die Stärke des Rechts darf nicht durch ein Recht der Stärke konterkariert werden“, forderte Lew Iwanow, Mitarbeiter am russischen Verfassungsgericht.

Und wie stellt man überhaupt fest, daß eine Gesellschaft versöhnt wurde? Schon in Deutschland ist sehr umstritten, ob die Aufarbeitung des SED-Unrechts gelungen ist.

Am Ende der Tagung überwog die Verunsicherung. Zwar begrüßten es die Rechtsprofessoren und Juristen aus vier Erdteilen, daß die weltweit vorhandenen Erfahrungen in Freiburg zusammengestellt werden. Daß am Rande des Schwarzwalds jedoch global gültige Empfehlungen entwickelbar sind, bezweifelten viele Teilnehmer. Fragen der Rechtskultur oder der Stabilität des neuen Staates spielten für die Entscheidung einer Gesellschaft genauso eine Rolle wie das (Nicht-)Vorhandensein neuer Eliten, die an die Stelle der alten treten können. „Letztlich muß man die Situation in jedem Land individuell betrachten“, forderte etwa Marcelo Sancinetti von der Universität Buenos Aires.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen