: Ältere Migranten
Die Vereinten Nationen haben das Jahr 1999 zum Internationalen Jahr der Senioren erklärt. Das Motto: „Eine Gesellschaft für alle Lebensalter“. 468.300 Migrantinnen und Migranten in Deutschland sind über 60 Jahre alt, und Schätzungen gehen davon aus, daß im Jahre 2.010 über 1,3 Millionen ausländische Seniorinnen und Senioren in Deutschland leben werden. Fast zwei Drittel der ausländischen Seniorinnen und Senioren sind eingereist, um hier zu arbeiten. Mehr als die Hälfte von ihnen, 51,9 Prozent, stammt aus den ehemaligen Anwerbestaaten. Der größte Teil der älteren Türken, ehemaligen Jugoslawen, Griechen und Italiener kam bereits vor 1973, vor dem Anwerbestopp für ausländische ArbeitnehmerInnen Sie kamen mit dem Plan, eine begrenzte Zeit im „deutschen Ausland“ Geld zu verdienen. Und bei vielen, die dennoch geblieben sind, wirkt bis heute unausgesprochen eine Rückkehroption nach, auch wenn sie längst nicht mehr realistisch erscheint. Das kompliziert die Auseinandersetzung mit dem Älterwerden und der Vorstellung, möglicherweise auf Pflege angewiesen zu sein. Die Familie, nachfolgende Generationen leben hier, eine Entfremdung von den sozialen Beziehungen im Herkunftsland hat nach 20-, 30jähriger Abwesenheit längst stattgefunden. Orientierung an Werten der Herkunftskulturen bleibt gleichwohl verbreitet.
Die körperliche Verfassung der früh Angeworbenen ist heute schlechter als die der gleichaltrigen Deutschen. Historisch läßt sich hier eine besondere Verantwortung der deutschen Gesellschaft ableiten. Denn zum Zeitpunkt der Anwerbung war die Gesundheit der MigrantInnen in Deutschland überdurchschnittlich gut: Bereits Zahnprobleme etwa verhinderten damals, daß ein Bewerber den für die Einreise erforderlichen Gesundheitstest bestand. 1993 lehnten 14 Prozent der italienischen, aber 52 Prozent der türkischen Älteren eine Heimversorgung ab. Doch für die Unterstützung stehen meist nur wenig familiäre Bezugspersonen zur Verfügung. Manfred Hielen vom Rhein-Ruhr-Institut für Sozialforschung und Politikberatung stellt in diesem Zusammenhang fest, daß „nicht auf Seiten der Einwanderer Defizite bestehen, sondern auf Seiten der Regelversorgung“; außerdem, daß „ein Öffnungs- und somit Umgestaltungsprozeß der Altenhilfe, der die Bedürfnisse dieser Menschen aufnimmt, noch nicht eingeleitet wurde. Marie-Luise Gries ‚/B‘Ältere und Multiplikatoren “Jahrhundert der Migration“ – Schreibprojekt: Persönliche Erfahrungen, Wünsche und Utopien zum Thema Migration sollen im Jahr 2000 als Buch veröffentlicht werden. Zum Mitmachen aufgefordert sind: Migranten, Aussiedler, Verfolgte und Flüchtlinge – ältere und jüngere. Manuskriptannahme bis 15. 12. 1999. Kontakt: Internationale Begegnungsstätte, Quantiusstr. 9, 53115 Bonn
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