: Berufsrisiko inklusive
Nach dem Tod der „Stern“-Reporter wird ein wirksamer Schutz für Kriegsreporter gefordert. Doch Kriegsberichterstattung wird immer gefahrvoll bleiben ■ Von Michael Rediske
In den vergangenen zehn Jahren sind weltweit über 600 Journalisten bei ihrer Arbeit ums Leben gekommen – oder wurden getötet, um sie zum Schweigen zu bringen. Die allermeisten von ihnen waren keine Kriegsreporter im Ausland. Sie recherchierten, schrieben oder fotografierten im eigenen Land: in Kolumbien über die Drogenmafia, in Rußland über Korruption, in Algerien über den Kampf zwischen Militärs und islamistischen Terrorgruppen. Oder sie waren in der chinesischen Botschaft in Belgrad, als diese bombardiert wurde.
Im Unterschied zu ihnen kennen professionelle Kriegsreporter immer das Risiko, das sie eingehen. Oder sie sollten es kennen. Noch nie hat es ein alle Berichterstatter automatisch schützendes „Presse“-Schild gegeben – vergleichbar dem weltweit anerkannten roten Kreuz. Kriegsreporter sind meist auf die Genehmigung – oft sogar den Schutz – einer der kämpfenden Parteien angewiesen. Das war schon bei George Orwell und Ernest Hemingway so, die mit den republikanischen Truppen in den Spanischen Bürgerkrieg zogen. Das Recherchieren auf einer Seite hat die Reporter schon immer zu möglichen Zielscheiben für die andere Seite gemacht.
Allerdings: In vielen Kriegen nach dem Zweiten Weltkrieg waren westliche Reporter nicht so unmittelbar einer der Parteien zuzuordnen, ihre Chance, in einem der zentralamerikanischen Guerillakriege oder der Bürgerkriege in Westafrika sich beiden Seiten als Überbringer von Informationen anzubieten, war oft gut. Das schloß ein Risiko zwar nicht aus, doch wurden Reporter nur selten zu ausgewählten Zielscheiben.
Hier hat sich seit den achtziger Jahren einiges verändert. Spätestens der zweite Golfkrieg 1991, als die Amerikaner das Monopol über die Bilder besaßen, hat der ganzen Welt bewußt gemacht, wie sehr kriegführende Parteien heute auf die Beeinflussung – und Manipulation – der öffentlichen Meinung angewiesen sind, nicht nur der in ihrem eigenen Land. Während es vor zwanzig Jahren von wenig Bedeutung war, welches Image ein Heer auf der anderen Seite des jeweiligen Ozeans hatte, sorgen heute CNN und andere Satellitenkanäle dafür, daß es prinzipiell nur noch einen einzigen, weltweiten Markt der Informationen gibt, dessen Teile sich in Minutenschnelle rückkoppeln. Und der will ständig gefüttert werden. Für die Zeitungsredaktionen hat der Aktualitätsdruck zugenommen, seit auch die Konkurrenz sich ihre News online und weltweit beschafft. Und die Vervielfachung der Fernsehkanäle hat eine immense Nachfrage nach Bildern geschaffen, die kaum noch zu befriedigen ist.
Auch die Eskalation der Kriege im zerfallenden Jugoslawien hat die Arbeit der Kriegsreporter verändert. Egon Scotland, Reporter der Süddeutschen Zeitung, war der erste Deutsche, der 1991 trotz eines übergroßen „Presse“-Schildes an seinem Wagen in der kroatischen Krajina erschossen wurde. Mit der Zahl der paramilitärischen Truppen, die von einer Genfer Konvention nichts wissen wollen, wächst auch die Gefahr für die Journalisten. Wo die Zivilbevölkerung als Geisel genommen wird und Massenexekutionen keine Seltenheit sind, sinkt auch die Hemmschwelle, ungebetene Beobachter zum Schweigen zu bringen – weil sie Massengräber suchen oder nur aus Rache, kurz vor dem erzwungenen Abzug.
Kann das Risiko für Kriegsreporter verringert werden? Nur sehr begrenzt. Kugelsichere Westen und gepanzerte Fahrzeuge helfen gegen Schüsse aus der Entfernung, aber nicht gegen gezielten Mord. Die Regel, nicht ohne orts- und sprachkundige Begleiter zu fahren, beherzigt heute fast jeder Reporter. Und in der Verantwortung der Chefredakteure liegt es, keine auslandsunerfahrenen jungen Heißsporne ins Feld zu schicken. Aber dann liegt die Entscheidung allein beim Kriegsreporter, der das Risiko selbst einschätzen muß, wie weit er sich von einer militärisch kontrollierten Zone entfernt. Wollte man diese Entscheidung der Bundeswehr in Prizren überlassen und ihr die Verantwortung für die Sicherheit der Kriegsreporter zuschieben, dann wären Sperrzonen das Ergebnis – mit anderen Worten – Zensur.
Michael Rediske ist Ex-taz-Chefredakteur und Sprecher von Reporter ohne Grenzen
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