: Berlin ist nicht mehr Stoppschild des Westens
■ Um die Vermarktung der Hauptstadt kümmern sich viele. Der Gigant „Partner für Berlin“ setzt dabei auf Baustellen, der Alternativstadtführer Stattreisen hinterfragt die neuen Glitzerfassaden
Sie sind ein bißchen forsch, die Macher von Berlin, die die Metropole vermarkten. „Wer keine Lust auf Veränderung hat, soll hier weggehen oder gar nicht erst kommen“, sagt ihr oberster Verkäufer, Volker Hassemer von „Partner für Berlin“. Hassemer, der im früheren Leben Berlins Kultursenator war, versucht nun zu verwirklichen, was er als Politiker angestoßen hat. Er verkauft Berlin als eine Stadt, die besonders reizvoll ist, gerade weil sie noch nicht fertig ist. „In München und Hamburg ist doch alles klar, das ist langweilig“, sagt der graumelierte Herr, während er in die Polsterrunde seines Büro in Mitte sinkt.
Mit den meisten seiner Projekte spricht er weniger den gemeinen Touristen an, sondern vielmehr sogenannte Multiplikatoren und Investoren. Leute, die überlegen, in Berlin zu investieren oder eine Dependance aufzumachen, und für die auch das Umfeld stimmen müsse. Seine Gesellschaft, die von verschiedenen deutschen Unternehmen gesponsert wird und der das Land Berlin jährlich ein Auftragsvolumen von rund acht Millionen Mark vergibt, will moderne zukunftsträchtige Branchen wie Multimedia, Umwelttechnik und Dienstleistungsunternehmen nach Berlin locken. „Berlin ist der Vorhof Osteuropas“, sagt Hassemer. Wenn jemand in Warschau investieren will, macht er das oft lieber von Berlin aus. „Hier findet er alles, Know-how, gut qualifizierte Leute und eine attraktive Umgebung“, sagt Hassemer.
„Früher waren wir das Stoppschild Westeuropas, und jetzt sind wir das Aufbruchschild“, ist seine zentrale Botschaft. Hassemer arbeitet sich weniger an der Vergangenheit ab als am Neuen. Deshalb möchte er auch die neu Hinzuziehenden gewinnen: „Die sind nicht so festgelegt und milieubezogen und sehen Berlin als ganze Stadt.“ Hassemer dreht manche Prinzipien eben einfach um. Das, was den Menschen unangenehm ist, vermarktet er als interessant. Bei einer Umfrage vor zwei Jahren kam heraus, daß die meisten, wenn sie an Berlin denken, auch an Baustellen erinnert werden, und da denken alle nur an Lärm, Dreck und Staub. Hassemer ließ aber keinen großen Bauzaun um die Riesenbaustellen ziehen, sondern öffnete sie für Berlinbesucher. Attraktion Baustelle.
Das neue Projekt, das „Partner für Berlin“ mit den Berliner Festspielen entwickelt hat, heißt „Berlin: offene Stadt“, die Stadt als Ausstellung. „Die Stadt spricht über sich selbst“, sagt Reinhard Alings, der Projektleiter. Zusammen mit dem Nicolai Verlag haben sie zwei Bände herausgegeben, einen mit vertiefenden Artikeln, einen anderen, der den Spaziergänger an die Hand nimmt und durch die Stadt führt. Die Macher der eineinhalb Jahre währenden Ausstellung haben insgesamt 187 Stadtzeichen auf den Rundgängen aufgestellt, die 350 alte und neue Gebäude vorstellen und auch ansatzweise städtebauliche Diskussionen abbilden. Aber auch mit der Reihe Spielräume, von den Berliner Festspielen organisiert, zeigt sich die Stadt ungewohnt, nämlich als Bühne. Kultur open air.
Sollen sich die Konzepte für das „Neue Berlin“ auf lange Sicht auch wirtschaftlich auszahlen, kommt mindestens ein dritter Partner ins Spiel: Geschäftsführer Hans Estermann mit der Wirtschaftsförderung Berlin. Er fährt mit den potentiellen Investoren zu interessanten Standorten in der Stadt. Vorzugsweise gleich mit U- oder S-Bahn, damit „die Herren gleich selbst bemerken, daß die Anbindung mit öffentlichen Verkehrsmitteln für ihre Mitarbeiter ganz prima ist“. Ansonsten geht's um Zahlen: Gewerbemieten, Steuern und andere Abgaben.
Für die jährlich rund 3,4 Millionen Touristen sind hingegen andere zuständig, wie die Berlin Tourismus Marketing GmbH (BTM). Die GmbH, die sich zu Dreiviertel selbst vor allem durch Hotelreservierungen und zu einem Viertel duch den Senat finanziert, ist für den Reisenden erste Anlaufstelle und beantwortet 600mal am Tag alles, was der gemeine Tourist wissen will. Dazu gehört auch mehrmals am Tag die Frage, wie hoch die Gedächtniskirche ist. Dabei verkauft die BTM Berlin je nach erforschtem Gusto: Die Italiener bekommen das junge Berlin, dieJapaner die Hochkultur.
Und wie stellen diejenigen Berlin vor, deren Konzept eher „kritisch aufklärend“ ist? Seit 16 Jahren gibt es Stattreisen ,und „es gibt Berlinreisende, die die Stadt nur mit dieser Organisation erlaufen“, erzählt Pressesprecher Jörg Zinkgraf. Er hat selber einige „geschichtskritische“ Touren, wie etwa den Gang durch das Olympiastadion, ausgearbeitet. Stattreisen hat den Anspruch zu zeigen, was hinter der Fassade ist. Die Tour über den Potsdamer Platz thematisiere nicht nur die Glitzerfassaden, sondern auch die Sterilität dieses Orts. Es gebe verschiedene Konzepte von Urbanität. Aber, so Zinkgraf, man müsse doch wohl fragen dürfen, welche Aufenthaltsqualität dieser Platz, der wie kein anderer das neue Berlin repräsentiert, für die Menschen tatsächlich hat.
Annette Rollmann
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