: Deutsche Bank stoppt Schlingensiefs Theater
■ Das größte deutsche Bankhaus engagierte den Berliner Provokateur für den Kulturteil einer Tagung. Als seine Pläne auf dem Tisch liegen, wird er prompt gefeuert. Eine Posse
Berlin (taz) – Die Deutsche Bank ist gemeinhin für ihre stolze Dividende bekannt, aber das wäre mal eine Ausschüttung geworden! Bis zu 100.000 Mark in kleinen Scheinen wollte Christoph Schlingensief vom Dach des Reichstags heruntersegeln lassen – und das im Auftrag des größten deutschen Geldinstituts.
Brigitte Seebacher-Brandt, die Witwe von Willy Brandt und Leiterin der Kulturstiftung der Deutschen Bank, hatte den Regisseur der Berliner Volksbühne gebeten, bei einer geschlossenen Tagung der institutseigenen Alfred-Herrhausen-Gesellschaft für das kulturelle Rahmenprogramm zu sorgen. Schlingensief versprach daraufhin ein Stück mit dem Titel „Rettet den Kapitalismus – schmeißt das Geld weg!“. Heute abend hätte Premiere sein sollen.
Doch unter Auftragskunst scheint die Deutsche Bank etwas anderes zu verstehen als die Volksbühne. Als bekanntwurde, daß die gemietete Theatercombo vorhatte, Geld aus dem Fenster des Nobelrestaurants Käfer auf dem Dach des Reichstags zu werfen, ließ die Deutsche Bank die Premiere platzen und lud die Mitglieder der Volksbühne, die ursprünglich an dem Colloquium teilnehmen sollten, wieder aus. Auch kündigte das Bankhaus an, die Inszenierung „Pariser Leben“ von Volksbühnen-Dramaturg Christoph Marthaler nun doch nicht mehr finanziell zu unterstützen.
In einem Schreiben warf Brigitte Seebacher-Brandt der Volksbühne vor, die Kalkulation für die Verwendung des Geldes, die die Schlingensief-Gruppe der Kulturstiftung der Bank vorgelegt habe, sei betrügerisch gewesen. Offiziell hieß es bei der Deutschen Bank, das Institut habe sich nach den Äußerungen Schlingensiefs „veranlaßt gesehen, den Auftrag zurückzuziehen“. Schlingensief habe sich nicht an „gewisse Rahmenvereinbarungen“ gehalten, sagte ihr Sprecher Ronald Weichert zur Begründung. „Das ist jenseits von dem, was wir vereinbart hatten.“ Was „gewisse Rahmenvereinbarungen“ seien, darauf wollte Weichert jedoch nicht näher eingehen.
Karl Hegemann, Dramaturg des neuesten Schlingensief-Projekts, sagte, die Deutsche Bank sei vorab darüber informiert gewesen, daß „Geld weggeworfen werden würde“. Auch sei der Stiftung geschrieben worden, daß man bei Schlingensief immer mit einer Provokation rechnen müsse. Der Rückzug der Deutschen Bank zeige exemplarisch die Grenzen des privaten Kultursponsoring. „Die laden den Schlingensief aus, wofür sie ihn eingeladen haben“, sagte Hegemann der taz.
Das Team von der Volksbühne hatte geplant, unter den Tagungsteilnehmern 100.000 Mark für den Wiederaufbau der zerbombten Kinder- und Jugendtheater in Belgrad und Priština zu sammeln. Wäre die Summe nicht zusammengekommen, hätte Schlingensief die Aktion für gescheitert erklärt und das gesammelte Geld weggeworfen. „Falls die anvisierte Summe erreicht oder übertroffen wird, wird Schlingensief sich freuen und seine eigene Gage in kleinen Scheinen abwerfen“, hieß es noch am Mittwoch in einem Brief der Volksbühne.
Das Thema der Tagung lautet übrigens „Kapitalismus im 21. Jahrhundert“. Uta Andresen
Kommentar Seite 12
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