„Trittin wird oft zu Unrecht geprügelt“

■  Rezzo Schlauch, grüner Oberrealo und Meister des Spagats, kritisiert den undiplomatischen Stil von Umweltminister Trittin. Von Rücktrittsforderungen will Schlauch trotzdem nichts wissen. Der Atomausstieg komme ohnehin früher als bislang gedacht

taz: Herr Schlauch, wann haben Sie das letzte Mal von Jürgen Trittin geträumt?

Rezzo Schlauch: Ich träume sehr wenig und wenn, dann nicht von der Politik.

Es wäre vermutlich auch ein Alptraum gewesen.

Das glaube ich kaum.

Aber die Rücktrittsforderungen aus Ihren eigenen Reihen gegenüber Trittin können Sie nicht glücklich machen.

Diejenigen in unserer Partei, die den Umweltminister massiv kritisieren oder gar seinen Rücktritt fordern, übersehen, daß nicht jeder Mißerfolg bei ihm abgeladen werden kann. Trittin wird oft für Dinge geprügelt, die er nur bedingt zu verantworten hat. Umweltpolitik ist sowohl durch die veränderten äußeren Bedingungen – Stichwort Arbeitslosigkeit – als auch durch eigene Versäumnisse der grünen Partei zu einem steinigen Acker geworden. Das Thema Ökologie hat derzeit kaum Konjunktur, obwohl es gerade unter ökonomischen Aspekten hochaktuell ist.

Wenn ich Sie jetzt nach einer Meinung zu Trittin frage, werden Sie mir also sagen, er ist ein guter Umweltminister und bleibt noch lange im Amt.

Jürgen Trittin steht wie kaum ein anderer Minister von allen Seiten unter Druck. Er hat es mit einer mächtigen Industrie zu tun, die ihre Interessen knallhart vertritt. Er hat es mit einem Koalitionspartner zu tun, dem das Thema Ökologie nicht gerade ans Herz gewachsen ist. Und er hat es mit einer grünen Partei zu tun, die zumindest in Teilen ein ökologisches Programm vertritt, das noch nicht realitätstauglich ist. In der Wirtschaftspolitik, der Finanzpolitik, der Innenpolitik sind wir programmatisch viel weiter. In der Umweltpolitik – Ausnahme ist die Ökosteuer – dominieren immer noch fachpolitisch-fundamentalistische Positionen. Die Grünen, die „Erfinder“ der Umweltpolitik, müssen diese Politik gewissermaßen neu erfinden.

Heißt das, Trittin hat unter schwierigen Bedingungen eine gute Umweltpolitik gemacht?

Er hat zumindest versucht, der Umweltpolitik unter schwierigen Bedingungen ein Profil zu geben. Allerdings glaube ich, daß wir in der Umweltpolitik küftig stärker dialogorientiert und weniger konfrontativ agieren müssen. Das haben wir beim Atomausstieg gerade erlebt. Mit Dialog und der Bereitschaft, den Konsens zu suchen, wäre das eine oder andere besser gelaufen. In der Ökologie muß der Politikstil, der beim Bündnis für Arbeit gepflegt wird, unser Modell sein.

Andere in Ihrer Partei sehen das viel drastischer. Was immer Trittin anfaßt, sagen sie, schadet den Grünen.

Das ist Quatsch. Ich halte es für einen Fehler, den Rücktritt des Umweltministers zu fordern. Das ist destruktiv. Trittin wird da, wo er stark sein muß, zusätzlich geschwächt – gegenüber der Atomindustrie beispielsweise.

Aber für den Kanzler ist ein angeschlagener Umweltminister die beste Garantie dafür, daß die Grünen klein und schwach bleiben.

Gerade deshalb halte ich es für absoluten Blödsinn, Trittin durch die eigene Partei zu demontieren.

Wann kommt der Ausstieg aus dem Atomindustrie?

In sehr viel kürzerer Zeit, als dies jetzt im Rahmen der Ausstiegsgespräche diskutiert wird.

Was macht Sie denn so sicher?

Wenn es zu einem Konsens über den Atomausstieg kommt, wird er zwei Punkte in jedem Fall enthalten: Einer politischen Energie, die über Jahrzehnte massiv mit öffentlichen Mitteln gefördert worden ist, wird durch eine politische Entscheidung der Boden entzogen. Und der Ausstieg wird noch in dieser Legislaturperiode beginnen. Damit wird eine Dynamik in Gang gesetzt, die dazu führt, daß die Atomenergie schon aus wirtschaftlichen Gründen sehr viel früher ausläuft als jetzt vorgeschlagen. Die grüne Bundestagsfraktion hat das für zwei AKW, Obrigheim und Stade, durch einen Wirtschaftsprüfer bereits nachrechnen lassen: Der dort gewonnene Atomstrom wäre teurer als der Strom, den man an der internationalen Börse, beispielsweise in Amsterdam, heute beziehen kann. Welche Restlaufzeiten sollten in den Konsensgesprächen mit der Atomindustrie vereinbart werden?

Sie sollten deutlich unter 30 Jahren liegen.

Warum ist Ihrer Partei diese Zahl eigentlich so wichtig, wenn Sie sowieso davon überzeugt sind, daß es am Ende schneller geht?

Wenn wir uns nicht auf weniger als 30 Jahre einigen, dann bräuchten wir gar keine Vereinbarung. 35 Jahre – das wäre ein Zeitraum, in dem die Atommeiler ja sowieso auslaufen. Ein solcher Ausstiegskonsens hätte seinen Namen nicht verdient. Da wäre der Status quo ja fast noch besser. Der Atomindustrie werden Zugeständnisse gemacht – also muß sie auch etwas bieten.

Wie viele Atomkraftwerke werden in dieser Wahlperiode abgeschaltet?

Wir Grüne sollten bei der Festlegung von Zahlen äußerst vorsichtig sein, und das ganz besonders, wenn die Verhandlungen noch laufen.

Aber selbst der Wirtschaftsminister hat jetzt gesagt, das eine oder andere AKW könnte es schon sein.

Da will ich dem Wirtschaftsminister nicht widersprechen. Vielleicht nur noch hinzufügen: das eine und das andere.

Wenn es eine Vereinbarung über den Atomausstieg gibt – dürfen wir uns dann auf einen grünen Sonderparteitag mit Farbbeuteln freuen?

Wir sollten ein solches Verhandlungsergebnis erzielen, das uns einen Sonderparteitag erspart.

Es tut mir ja leid, daß ich schon wieder mit Trittin komme. Aber der fordert einen grünen Sonderparteitag.

Ich halte überhaupt nichts davon, über einen Parteitag zu spekulieren, ohne daß ein Ergebnis bei den Konsensgesprächen vorliegt. Interview: Jens König