: Minnano vor landesweiter Einführung
■ Japanische Mütter halten 1.200 Kühe und bilden sich an der Staatlichen Milchforschungsanstalt in Kiel fort
Japaner können mit scharfen Samurai-Schwertern hantieren und warmen Reiswein wegputzen wie nichts – nur eines haut sie angeblich um: Milch. Das Drüsensekret der Kühe ist für erwachsene Japaner unverträglich, behaupten Wissenschaftler: Sie haben kein Laktase-Enzym und können deshalb den Milchzucker (Laktose) nicht verarbeiten. Wenn sie es trotzdem versuchen, bekommen sie gräßliche Blähungen und auch noch Durchfall.
„Stimmt ja gar nicht!“ sagt dagegen Toki Kodera, eine Hausfrau in Tokio. „Die Fachleute und Professoren haben ganz einfach keine Ahnung von Milch. Weil sie keine Gelegenheit haben, richtige Milch zu trinken.“
In Japan sei das nämlich so: „Bei uns gibt es keine schonend pasteurisierte Milch. Sondern sie wird auf 120°C erhitzt, danach in normale Papierpackungen, also nicht keimfreie, abgefüllt und in den Kühlschrank gestellt. Diese Milch ist nicht lange haltbar. Sie schmeckt furchtbar!“ Kein Vergleich mit „richtiger“ Milch, wie Toki Kodera sie vor Jahren während eines Studienaufenthalts in Ulm kennengelernt hatte. Für ihre Kinder wünschte sich Kodera sanft behandelte Milch: „Nach dem Krieg war die japanische Milch nicht sauber genug und daher die brutale Erhitzung notwendig. Aber warum macht man das heute noch?“
Von den japanischen Milchverarbeitungsbetrieben bekam Kodera keine Antwort: „Keine Firma fühlte sich verantwortlich. Also begriff ich, daß ich mir meine Milchprodukte selbst herstellen muß.“ Zusammen mit 14 anderen Müttern eröffnete sie vor vier Jahren in Tokio einen Laden für Milch, Butter, Käse und Joghurt. Heute sind an dem Projekt 5.000 Familien beteiligt. „In Zusammenarbeit mit einer Landgenossenschaft halten wir selber 1.200 Kühe und bekommen jeden Tag 40.000 Liter Milch. Unsere Milch ist pasteurisiert und nicht homogenisiert. Wir nennen sie ,minnano‘ – also ,Milch für alle‘. Wir wollen in ganz Japan das Trinken von pasteurisierter und nicht homogenisierter Milch einführen.“
In den Laden kommen pro Tag immerhin schon rund 50 Käufer. Bei einer Ladenmiete von 300.000 Yen im Monat und einem Verkaufspreis von 20 Yen pro Milchflasche reicht das zwar noch nicht, um vom Milchverkauf allein leben zu können – aber es beweist, daß Japaner sich sehr wohl an Milch gewöhnen können, wenn sie „richtig“ gemacht wird: „Unsere Kunden sind fast alle diese ,Kein-Laktase-Enzym-Erwachsenen‘, Ausländer kommen im Monat bloß fünf bis sieben. 99 Prozent der Leute sagen, daß sie keinen Durchfall bekommen. Und keine Blähungen. Auch mein Mann, der sich ansonsten für meine Arbeit überhaupt nicht interessiert, meine Kinder und meine Verwandten – sie alle trinken gerne ,meine‘ Milch.“
Zur weiteren Vervollkommnung geht das Mütter-Kollektiv aus Tokio regelmäßig auf Studienreise, erzählt Toki Kodera: „Wir haben schon viele milchverarbeitende Betriebe in Europa besucht, außerdem zum Beispiel die Milchkontrollanstalt in Kempten, die Staatliche Milchforschungsanstalt in Kiel und die Technische Hochschule in München.“ Bei Nahrungsmitteln komme es nämlich sehr darauf an, daß man alles „richtig macht“.
Ganz so wie bei den Heuschrekken – da esse man ja auch nicht alle Sorten gleich gern: „Die gerösteten Heuschrecken, die wir im Supermarkt kaufen und gerne mit Sojasoße zubereiten, fressen bloß Reisblätter und sind klein und weich. Also ganz anders als die Heuschrecken in Europa.“
Martin Ebner
„Die Professoren haben ganz einfach keine Ahnung von Milch, weil sie noch nie richtige Milch getrunken haben“
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