piwik no script img

Katzenjammer mit System

Vom notwendigen Scheitern: E. M. Cioran fühlte sich als Komplize der Unglücklichen. Interviewmitschnitte des Aphoristikers liegen jetzt auf CD vor  ■   Von Detlef Kuhlbrodt

„Lehre vom Zerfall“, „Syllogismen der Bitterkeit“, „Vom Nachteil geboren zu sein“, „Auf den Gipfeln der Verzweiflung“ – die schmalen Bücher Ciorans sprachen vielen philosophisch interessierten jungen Menschen aus der wunden Seele. Wenn das Leben dann etwas gefestigter wurde, konnte man die Manie, mit der der aus Siebenbürgen stammende Aphoristiker und Antisystematiker, der große Stilist am Rande der Literatur, immer wieder das grundsätzliche Scheitern beschwor, nicht mehr ertragen. Das war einem dann doch etwas zu humorlos pathetisch, und die Frage, ob die Menschheit nun tatsächlich im großen und ganzen ihrem Untergang entgegengeht, war einem letztlich doch etwas zu unspezifisch. Nun ist im Verlag Supposé eine Audio-CD mit singlelangen Interviewpassagen des großen Pessimisten erschienen. Die Aufnahmen sind zwischen 1974 und 1990 entstanden, in einer Zeit also, in der der 1911 geborene Sohn eines griechisch-orthodoxen Priesters schon ein alter Mann beziehungsweise lebende Legende war.

Wenn man seine Stimme hört, ist man überrascht. Nicht so sehr über die Worte, sondern vor allem über die lebendige, nun ja, warmherzige Stimme, die man sich irgendwie schnarrend-tonlos vorgestellt hatte. Zwar spricht er – meist deutsch mit einem charmanten leicht französisch-rumänischen Akzent, seltener französisch oder englisch – auch in seinen Interviews über die immer gleichen Themen; über den bösen Demiurgen, der die Welt zu ihrem Unglück geschaffen hat, über die Grunderfahrung des Neben-der-Wirklichkeit-Stehens, des Verlassenseins, der existentiellen Angst, aus der heraus er zu schreiben begonnen hatte, über den Selbstmord als einer durch das Christentum denunzierten Möglichkeit, die ihm half, sein Leben zu ertragen. Doch bekommt das, was in den Schriften wie die depressiv-monomanische Wiederholung des Immergleichen wirkte, etwas Dialogisches.

Man kann die CD wie ein autobiographisches Hörspiel hören, wie den tragikomischen Bildungsroman eines verspäteteten Existentialisten. Am Anfang erzählt er von seiner ungebundenen, ländlichen Kindheit, von der verlorenen Zeit, in der er mit dem Sohn eines Totengräbers befreundet war und mit Totenschädeln Fußball spielte, in seiner Jugend ging er dann zwei- bis dreimal die Woche ins Bordell. Das Bordell sei wie ein Salon gewesen. Er hätte ein „krankhaftes“ Verhältnis zu Frauen gehabt, die er nur als Dirnen akzeptieren konnte. Später revidierte er das („eine weitere Niederlage“) und zog Frauen den Männern vor. Weil sie „krankhaftere Wesen“, „mehr aus dem Gleichgewicht“ geworfen seien und viel gefühlsbegabter wären.

Nach seinem Philosophiestudium in Bukarest, einem dreisemestrigen Studienaufenthalt in München und Berlin und einer Abschlußarbeit über Bergson zog Cioran dann nach Paris, wo er bis zu seinem Lebensende zurückgezogen lebte und vor allem in französischer Sprache veröffentlichte. Stolz war er darauf, heimatlos zu sein und – abgesehen von einem Jahr als Studienrat für Philosophie in Kronstadt – nie einen Beruf ausgeübt zu haben. Unter Anfällen großer Verzweiflung hätte er jeden Tag gelitten. Nur in diesen Zuständen konnte er schreiben. Das hätte zwangsläufig zu einer gewissen Einseitigkeit geführt. Der verzweifelte Denker hatte durchaus ein schönes Leben geführt und auch privilegierte Momente erlebt, die dem melancholischen Leiden unter der „Herrschaft der Zeit“ (Michael Theunissen) entgegenstanden. „Diese mystischen Erfahrungen haben zu tun mit Schlaflosigkeit. Wer immer gut schläft, hat keine solchen Erfahrungen.“Cioran fühlte sich als Komplize der Unglücklichen. Menschen, „die irgendwie mißlungen sind als Wesen“, die ihr Leben „verfehlt“ haben, waren ihm sympathisch; die Tätigen verachtete er. Nie beanspruchte er dabei objektive Geltung für sein aus dem „cafard“ (im Deutschen etwa: Katzenjammer) geborenenes Denken. Statt dessen spricht er immer wieder von einem kohärenten System von „Zwangsvorstellungen“; einem triebhaften, sozusagen psychosomatischen Denken also, das durchaus therapeutisch wirkt und in einer Klassengesellschaft der Emotionen, in der Gefühle wie Trauer, Verzweiflung, Angst das so sinnlose wie verworfene Dasein des Lumpenproletariats führen, durchaus was für sich hat.

Der Satz „Alles ist umsonst“ hat durchaus etwas Befreiendes, und es ist sehr schön, diesem alten, klugen Mann zuzuhören, dessen monomanischer Pessimismus so gar nichts selbstgefällig Misanthropisches hat. Wenn man Cioran einmal mit allem identifikatorischen Pathos gelesen hatte, um ihn dann später, wie Hermann Hesse, peinlich berührt zu verbannen, ist man erstaunt über die angenehme, höfliche Art, in der er spricht. Und immer wieder, fast entschuldigend, leise lacht, wenn es um das totale Scheitern geht.

Manchmal erlaubt er sich kleine Scherze. Bei einem seiner seltenen öffentlichen Vorträge zum Beispiel sagte er irgendwann: „Der Mensch muß verschwinden“, um nach einer kleinen Pause zu ergänzen: „Haben Sie nur ein wenig Geduld.“ Da muß nicht nur das Auditorium ein bißchen kichern. Manche seiner Sätze haben allein durch die Tatsache, daß sie gesprochen werden, etwas Melancholisch-Komisches: „Ich bin ein Autor geworden. Das ist eine Sackgasse und ein Unglück.“ Vom notwendigen Scheitern aller Unternehmungen war Cioran überzeugt. Ein kleiner Erfolg war auch ihm beschieden: Den Forderungen einer Pariser Demonstration von Langzeitstudenten, an deren Spitze er in den siebziger Jahren einmal marschierte, entsprachen die zuständigen Behörden dann doch. E. M. Cioran: „Cafard“. Herausgegeben von Thomas Knöfel und Klaus Sander (71 Minuten O-Ton mit einem 96seitigem Begleitbuch und einem Nachwort von Peter Sloterdijk). Verlag c + p supposé, Köln 1998, 68 DM

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen