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KommentarDas Gesetz des Marktes

■ Karlsruhe erklärt Hühnerknäste für rechtswidrig

Keine Reue, kein schlechtes Gewissen. Statt sich zu schämen, jammern die Geflügelhersteller nach dem Karlsruher Urteil über den nun drohenden „Investitionsstau“ und kündigen an, ihre Hühner künftig im Ausland zu quälen – pardon: zu halten. Gerade haben die Verfassungsrichter geurteilt, daß neunzig Prozent der deutschen Hühnereier tierquälerisch gewonnen werden, aber die Eierproduzenten zücken bloß ihre Taschenrechner.

„Zweck dieses Gesetzes ist es, aus der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen.“ So steht es im Tierschutzgesetz, doch für die Eierindustrie gilt nur das Gesetz des Marktes. Eine Logik, die sich auch SPD-Bundesagrarminister Funke zu eigen gemacht hat. Er, der jetzt scheinheilig das Urteil begrüßt, hatte noch vor Wochen seine Untätigkeit mit den Worten begründet, der Markt lasse keine andere Wahl zu als die Batterie. Dabei hatte auch Funke schlau bemerkt: Die Legebatterien sind „ethisch nicht zu vertreten“. Was braucht ein Politiker noch, um zu handeln? Am Ende mußten es wieder einmal die Richter tun.

Ihr Urteil macht Hoffnung, daß nun auch andere Ställe überprüft werden. Die Hühnerknäste waren nur der offensichtlichste Verstoß gegen die Verantwortung für unsere Mitgeschöpfe: Wir füttern Schweine mit Schweinemehl und werfen jedes Jahr 40 Millionen männliche Küken von Legehennen in den Schredder, weil sie sich nicht so gut mästen lassen wie spezielle Masthühner. Puten und Schweine kriegen kein Tageslicht zu sehen, damit sie sich nicht aufregen können – und schneller wachsen.

Wir fahren unsere Dackel und Terrier zum Herumtollen mit dem Auto in den Park, aber Schweine müssen mit einem halben Quadratmeter Stall auskommen. Man muß ihren Schwanz stutzen, damit sie ihn sich nicht gegenseitig abbeißen. Die Agrarindustrie läßt so was kalt: „Wo Futter ohne Anstrengungen stets vorhanden ist, entfällt die biologische Notwendigkeit des Herumlaufens“, heißt es schlicht. Das Gesetz des Marktes eben.

Doch zum Markt gehören auch die Verbraucher, diejenigen, die nicht fragen, warum Hühnerfleisch nur ein paar Mark kostet und ein Ei nur 9 Pfennig. Die alten Hühnerfarmen haben trotz des Karlsruher Urteils rechtlich Bestandsschutz, doch in den Supermärkten sollten wir ihnen keine Chance mehr lassen. Matthias Urbach

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