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„Mama geht fleißig studieren“

In Berlin gibt es bundesweit die meisten Studierenden mit Kind. Doch die Unis sind auf deren Bedürfnisse kaum eingestellt. Es gibt zuwenig Betreuungsplätze. Viele Eltern scheitern an der Doppelbelastung  ■   Von Süleyman Artiisik

Studieren mit Kind ist ein schwieriges Unterfangen. Davon kann die 25jährige Bettina Kraus ein Lied singen. Sie ist eine von vielen Berliner Studenten, für die das Wechseln von Windeln neben dem Büffeln für das Studium zur täglichen Aufgabe gehört.

Eine Umfrage des Deutschen Studentenwerks, das zum 15. Mal Berliner Studierende zu Studienbedingungen und ihrer sozialen Lage befragte, ergab, daß insgesamt 9,3 Prozent der Berliner Studenten ein Kind haben. In diesem Bereich liegen die Studierenden aus der Hauptstadt bundesweit unangefochten an der Spitze.

Bettinas Sohn ist vor knapp einem Jahr zur Welt gekommen. „Die Strapazen beginnen am frühen Morgen, wenn Christian morgens um Punkt sechs lauthals nach Nahrung schreit“, sagt sie. „Danach kommt er in die Krippe, und Mama geht fleißig studieren.“

Die Soziologiestudentin hat bis zum späten Nachmittag die Möglichkeit, ihren Wissensdurst zu stillen. Ihren Stundenplan muß sie so einrichten, daß die Lehrveranstaltungen, die sie besucht, meistens um 16 Uhr enden. „Wenn es nicht anders geht, verlasse ich eine Veranstaltung früher und verpasse dementsprechend eine Menge Stoff, den ich nachholen muß.“

Das Wort Feierabend klingt in ihren Ohren wie ein Fremdwort. Denn liegt Christian im Bett, wartet da noch der Haushalt. „Und für das Studium muß ich schließlich auch irgendwann etwas tun.“ So lernt sie meistens nachts. Aber nicht zu lange, denn bald kräht Christian wieder nach Essen.

Es sind vor allem die Studentinnen, die sich allein um die Erziehung ihrer Zöglinge kümmern müssen. „Mein ehemaliger Freund wollte das Kind nicht, und ich wollte nicht abtreiben. So haben wir uns entschieden, getrennte Wege zu gehen“, erzählt Bettina. Knapp zehn Stunden täglich bringt sie für Christian auf und plagt sich dennoch meistens mit einem schlechten Gewissen. „Ich habe die Befürchtung, daß ich zuwenig Zeit für mein Kind aufbringe. Aber ein wenig Ruhe brauche ich ja nun auch“, fügt sie an.

24,4 Prozent der Studenteneltern in Berlin ziehen ihre Kinder ohne Freund, Freundin oder Ehepartner groß. Für das „wilde“ Studentenleben bleibt da keine Zeit. Ganz im Gegenteil: Studieren und gleichzeitig ein Kind aufziehen bedeutet vor allem chronischen Zeitmangel und ständigen Streß. Doch auf diese besondere Situation sind die Hochschulen nur dürftig eingestellt. So haben beispielsweise an der Technischen Universität (TU) Eltern überhaupt keine Möglichkeit, ihre Kinder unterzubringen. An der Humboldt-Universität (HU) und der Freien Unversität (FU) gibt es zwar Kindertagesstätten, doch die Platzangebote sind hier sehr knapp. Grund dafür sind die Sparmaßnahmen an den Hochschulen. „Platz wäre für 174 Kinder vorhanden“, sagt Klaus Rotzoll, Kita-Leiter der FU, „aber wir können aufgrund des Stellenstopps momentan nur 125 Kinder betreuen. Das reicht bei weitem nicht aus.“ Insbesondere bei der Betreuung von Kindern unter zwei Jahren gebe es eine sehr große Lücke. „Wir können da wenig Unterstützung anbieten“, sagt Rosita Lohmann vom Studentenwerk Berlin. Den Grund hierfür sieht sie darin, „daß es immer noch keine Lobby in der gegenwärtigen Hochschulpolitik für die Studierenden mit Kindern gibt“.

Immerhin entstanden durch Elterninitiativen an der HU und FU eigene Kinderläden. Die Kindertagesstätten „Die Humbolde“ und „FUni-Mäuse“ gibt es schon seit einigen Jahren. Hier wechseln sich die Eltern bei der Kinderbetreuung ab – auch abends und am Wochenende. „Die FUni-Mäuse wird es aber so, wie es jetzt aussieht, bald nicht mehr geben“, ärgert sich eine Mitbegründerin des Kinderladens. „Die FU-Leitung kündigt zum 31. Oktober dieses Jahres den Mietvertrag.“ In den Räumen und dem Garten in der Königin-Luise-Straße 47 in Dahlem sollen zukünftig Sportgeräte gelagert werden.

Auch in den Studien- und Prüfungsordnungen werden die Probleme der Betroffenen kaum berücksichtigt. Zwar besteht die Möglichkeit, am Ende des Studiums einen Mutterschaftsurlaub zu beantragen, so daß der Examenstermin verlegt werden kann. Doch bis zur Prüfung kommen viele der Väter und Mütter erst gar nicht. Sie stolpern über ständige Geldnöte. Auch werden durch Krankheiten der Kinder verursachte Fehlzeiten von vielen Fachbereichen nicht als Entschuldigungsgrund akzeptiert. „Hier müssen die Studierenden selber agieren und sich mit den Dozenten und Professoren abstimmen“, sagt die Vizepräsidentin der FU, Christine Keitel-Kreidt, zuständig für Studium und Lehre. „Das Problem liegt in der Artikulation der Studierenden. Wenn sie ihre Probleme offensiv angehen, dann gibt es immer eine Lösung“, sagt sie.

Für viele ist der Gang in die Psychologische Beratungsstelle die letzte Hoffnung, wenn sie sehen, daß die Kommilitonen ihr Studium beenden und sie persönlich nicht vorankommen. „Die Zahl der Mütter, die ihr Studium aufgeben, ist im Vergleich zu den Vätern erheblich höher“, sagt Holger Walther von der Psychologischen Beratungsstelle der HU. „Die Doppelbelastung ist dafür ganz klar ein wesentlicher Faktor.“

Dennoch, Bettina ist sich sicher, sie wird nicht so leicht die Segel streichen. Denn eins hat sie sich fest vorgenommen. Sie möchte eine perfekte Mutter und eine gute Studentin sein. Die aktuelle Broschüre „Studieren mit Kind“ in Berlin kann unter der Telefonnummer 83 00 24 98 angefordert werden.

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