: Taiwans Präsident löst in Peking Drohungen aus
■ Äußerungen des taiwanischen Präsidenten zum Verhältnis mit der Volksrepublik China lassen in Peking die Alarmglocken schrillen und erinnern an die Taiwan-Krise von 1996
Berlin (taz) – Die Volksrepublik China hat Taiwans Präsidenten gestern erneut scharf kritisiert und erstmals explizit mit militärischen Schritten gedroht. Chinas Verteidigungsminister Chi Haotian erklärte nach einer Meldung der amtlichen Nachrichtenagentur Xinhua, die Volksbefreiungsarmee sei bereit, jederzeit die territoriale Integrität Chinas zu verteidigen. Nach Pekinger Lesart ist Taiwan ein fester Bestandteil Chinas.
Taiwans Präsident Lee Tenghui hatte am Wochenende das Verhältnis zur Volksrepublik als das „zwischen Staaten“ bezeichnet und nicht wie bisher als das zwischen „politischen Einheiten“. Damit löste er den reflexartigen Zorn Pekings aus, das Taiwan als abtrünnige Provinz bezeichnet und die Wiedervereinigung notfalls mit Gewalt anstrebt.
Die amtliche Volkszeitung schrieb, jeder Versuch Taiwans, die Ein-China-Politik herauszufordern, „wird scheitern“. Zu verneinen, daß Taiwan ein Teil Chinas sei, hieße, „seine eigene Stärke zu überschätzen wie eine Ameise, die einen Baum umwerfen wolle.“
Taiwans Präsident Lee Tenghui hatte in einem Interview der Deutschen Welle Taiwan als eine „unabhängige politische Einheit“ bezeichnet und damit nichts Neues gesagt. Auch seine Ergänzung, deshalb sehe er den Status der Beziehungen mit der Volksrepublik als den zwischen – wenn auch spezifischen – Staaten, geht in der Sache nicht über die bisherige Politik Taiwans hinaus – aber in der Rhetorik. Und das löste in Peking die Alarmglocken aus. Dabei pochen alle Politiker Taiwans darauf, daß sie seit der Flucht der nationalistischen Guomindang auf die Insel 1949 eine eigene Regierung haben, die selbst Steuern kassiert, eine eigene Armee unterhält und eine eigene Außenpolitik betreibt.
Wie immer reagierte die Volksrepublik gereizt, wenn dort das Gefühl entsteht, Taiwan wolle die faktische Trennung vergrößern. Wieder drohen jetzt Pekings Politiker mit Schäden für den Handel, um das reiche Taiwan mit dem Hinweis auf das in der Volksrepublik zu verdienende Geld zur Räson zu bringen. Auch die Drohung mit dem Militär wirkt vertraut. Bereits 1996 reagierte Chinas Volksbefreiungsarmee mit einem großen Seemanöver vor Taiwans Küste, wohin auch die USA zwei Flugzeugträger schickten. Damals hatte Lee Pekings Zorn ausgelöst, weil er sich als erster Präsident Taiwans direkt wählen ließ. Zuvor hatte er die USA besucht. Beides erweckte den Eindruck, Taiwan sei ein souveräner Staat.
Was könnte Lee zu seinen jetzigen Äußerungen veranlaßt haben? Medien in Taiwan verweisen darauf, daß im kommenden März wieder Präsidentschaftswahlen sind. Die oppositionelle Demokratische Fortschrittpartei hat es in den letzten Jahren geschafft, mit der Forderung nach Unabhängigkeit die Wähler bei Laune zu halten. Schon 1996 halfen Pekings Drohungen Präsident Lee. Er hatte Taiwan als Staat bezeichnet und eine vorschnelle Wiedervereinigung abgelehnt. Pekings Drohungen machten ihn zum Wahlsieger. Zwar darf Lee im März nicht wieder antreten, aber sein Wunschkandidat Lien Chan könnte auf die bewährte Karte setzen. Schon kursiert wieder das Gerücht, die Volksbefreiunsarmee plane ein großes Seemanöver. Shi Ming
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen