: Guter Fußball für den Osten
Der Kinounternehmer Michael Kölmel sammelt Fußballklubs wie andere Leute Autogramme und will jetzt auch Sachsen Leipzig mit kräftigen Investitionen zur Spitze führen ■ Von Markus Völker
Leipzig (taz) – Völlig aufgelöst spurtete Frau Weiße, Sekretärin des FC Sachsen Leipzig, durch die Gänge der Geschäftsstelle. Sie versuchte, „Linie“ in die Feierlichkeiten des Fußballklubs zum 100jährigen Vereinsjubiläum zu bekommen, schließlich waren am vergangenen Sonntag hohe Gäste nach Sachsen zum Freundschaftskick gekommen: Jupp Heynckes mit Benfica Lissabon. Und dann auch noch das: Der Präsident hatte schlechte Laune. „Hat Sie die Presse wieder geärgert?“ fragte die Gestreßte Thomas Till. „Hm“, grummelte der bullige Till, ein ehemaliger Ringer. Hatte doch wieder einer das Tabuwort Wettbewerbsverzerrung in den Mund genommen. Auf solch „saublöde Fragen“ pflegt Till gemeinhin gar nicht erst zu antworten, tat es dann aber doch: „Wenn ich so einen Scheiß schon höre“, raunzte er und zog kopfschüttelnd davon.
Michael Kölmel blieb währenddessen gelassen. Der Chef der Kinowelt AG, die dem FC Sachsen pro Saison mit fünf Millionen Mark auf die Beine hilft, hört den Einwand zwar auch nicht gern, aber auf Journalisten reagiert der smarte Mann nicht allergisch, sondern mit einem Redeschwall. Kölmel sponsert mehrere Traditionsvereine. Rot-Weiß Essen, Alemannia Aachen und Waldhof Mannheim sind darunter; im Osten hat er sich gleich bei drei Vereinen finanziell engagiert: Neben dem FC Sachsen bei Dynamo Dresden und Union Berlin. Und Kölmel hat noch nicht genug. Er streckt die Finger aus nach dem 1. FC Magdeburg. Da sei zwar noch nichts endgültig, aber Kölmel dementiert auch nicht. Er sagt: „Ein Einstieg bei Magdeburg ist möglich.“
Wie aber ist das nun mit der Wettbewerbsverzerrung? Er könne doch nicht alle 18 Mannschaften der Regionalliga Nordost unterstützen, da hörten seine Möglichkeiten irgendwann auf, versichert Kölmel. „Fußballspiele wurden doch zu Zeiten von selbstherrlichen Präsidenten verschoben, so was gibt es heute nicht mehr“, sagt er, „außerdem bin ich nicht ein Typ wie Frank Stronach, ich will ehrlichen, fairen Sport.“ Der austro-kanadische Milliardär Stronach hat in Österreich die halbe Bundesliga aufgekauft und schickt sich an, nachdem er unter fragwürdigen Umständen Ligapräsident wurde, nun auch den Chef des Fußballbundes, Beppo Mauhart, aus dem Vorsitz zu mobben.
In der Tat erscheint Kölmel nicht als ein Arnold Schwarzenegger der Wirtschaftsbranche. Er wirkt wie ein diplomierter Sozialwissenschaftler, der, irgendwie zu Geld gelangt, den Pleite-Ossis das Portemonnaie füllt. Denn, so ein Beweggrund, „ich möchte guten Fußball im Osten sehen“. Er hat sich die Fußball-Leckerbissen herausgefischt. Ideologisch belastete oder bei den Fans in Ungnade gefallene Klubs sortierte er aus. Nach intensiven Recherchen bekam der FC Sachsen den Zuschlag, nicht etwa Stadtrivale VfB Leipzig, ehedem Lokomotive.
„Das ist richtiger Haß“, erklärt Fan Steffen Wiedemann zur Rivalität der beiden Leipziger Klubs. „Bei Lok waren die Bonzen, wir, Chemie, nur der Kleinverein, dem sie immer die Spieler wegdelegiert haben.“
Der Dreher sieht das Kinowelt-Sponsoring mit gemischten Gefühlen. Ohne die Kölmel-Millionen wäre alles zusammengebrochen. Andererseits glaubt er zu wissen: „Erfolg läßt sich nicht mit Geld erkaufen.“ TeBe Berlin nennt er als Beispiel. Dort ist die Göttinger Gruppe, zumindest in der vergangenen Saison, mit Millionengaben am Aufstieg vorbeigeschrammt. Große Träume spinnt man bei TeBe. In nächster Zeit wolle man in der Champions League spielen.
So voll nimmt Präsident Till den Mund nicht, für markige Worte ist aber auch er zu haben. Leipzig entwickle sich über kurz oder lang zu einem Fußballmekka des Ostens, prophezeit er. Noch richtet niemand seine Gebete westwärts Richtung Zentralstadion oder Völkerschlachtdenkmal, denn die Nachwirkungen des drohenden Konkurses sind zu frisch. Erst Kölmel wandte im Frühjahr den Crash ab mit einer Einmalzahlung von 750.000 Mark. Seitdem wird beim FC Sachsen eifrig an der Zukunft gewerkelt. Trainer Eduard Stöhr wechselte vom österreichischen Bundesligisten Lustenau nach Leipzig, nachdem Verhandlungen mit Horst Ehrmantraut an dessen Gehaltsforderungen gescheitert waren; 13 neue Spieler wurden gekauft; die Geschäftsstelle renoviert; ein Vereinsmuseum eröffnet; und das 100jährige feiert man gebührend.
1899 wurde der Klub unter dem Namen Britannia gegründet. Glanzzeiten erlebte er als Turn- und Rasensportverein (Tura) in den 30er Jahren, auch in den 60ern, als Chemie Leipzig in der DDR-Oberliga zweimal Meister und einmal Pokalsieger wurde. Eigentlich hätte man aufgrund des Gründungsnamens gern gegen einen britischen Verein gespielt. Es wurde dann Benfica Lissabon. 9.000 Zuschauer sahen im Alfred-Kunze-Sportpark ihr Team 1:5 verlieren. Till sagte nach der Niederlage: „Wir müssen nicht von heute auf morgen in die Champions League.“ Und für allzu neugierige Fragesteller hielt er ein Sprichwort bereit: „Was kümmert es eine deutsche Eiche, wenn sich eine Sau dran scheuert.“ Fragen stellte dann keiner mehr.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen