Kommentar
: Mit Haut und Haar

■ Was Ausziehen im Reichstag für Deutschland bedeutet

Sechs Männer posieren nackt in der Glaskuppel über dem Reichstag, Fotos der Aktion erscheinen in einem Berliner Schwulenmagazin. „Würdelos!“ geifert die CSU, und stellvertretend für das Establishment geißelt Bild die „Nackten Lümmel“. Die Aufregung ist angebracht. Denn hinter dem spontanen „Darf so was sein?“ steht eine politische Frage: Wie heilig ist den Deutschen ihre Nation?

Vorbei sind die Zeiten, da Familien zum Kaiser-Wilhelm-Standbild am Deutschen Eck pilgerten. Vorbei auch die Zeiten, da Tagesschau-Reporter sich vor der Bronzeskulptur im Garten des Bonner Kanzleramts aufbauten. Auch wenn die Berliner Republik selbst noch auf der Suche nach ihren Symbolen ist – Touristen wie Fernsehkameras haben den Favoriten bereits gekürt: die Reichstagskuppel.

Daß ein schwules Haut-und-Haar-Blatt just diesen Ort für seine Foto-Session wählte, verrät also schlicht Gespür für PR-Effekte. Doch unabhängig von kommerziellen Absichten steht der Wirbel um den FKK-Auftritt in einer Reihe von aktuellen Kontroversen um die Offenheit dieser Gesellschaft: Soll die gerade gelockerte Bannmeile ums Parlament wieder verschärft werden? Brauchen deutsche Soldaten einen besonderen Ehrenschutz? Müssen öffentliche Gelöbnisse mit aller Macht geschützt werden?

In all diesen Fällen argumentieren die Verfechter eines restriktiveren Staates mit der Bedeutung nationaler Symbole. Doch werden Symbole – und sei es das Parlament – ins Erhabene überhöht, droht Gefahr. Nach und nach sorgt sich der Staat mehr um den Schutz nationaler Heiligkeiten als um die Verteidigung der Rechte der Ketzer. Für Bannmeile und Bundeswehr werden leichthin Meinungs-, Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit beschnitten.

Natürlich geht es auch anders. Nach dem Willen ihrer Erbauer sollte dies ausgerechnet die Reichstagskuppel repräsentieren. Das Glas symbolisiere die Transparenz westlicher Demokratien, die begehbare Platform lade die mündigen Bürger dazu ein, der Politik aufs Dach zu steigen. Beim Umgang mit dem Reichstags-Strip zeigt sich, ob unsere Gesellschaft so offen ist, wie es die Festredner bei der Eröffnung der Kuppel beschworen. Denn hier oben wird die Freiheit der westlichen Welt verteidigt – und manchmal eben auch von sechs nackten Lümmeln. Patrik Schwarz