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Lieber ertrinken als aufgeben

Im August füllt der Monsun in Indien die Stauseen am Narmada-Fluß. Ureinwohner protestieren verzweifelt, und das oberste Gericht entscheidet  ■   Aus Puna Reiner Hörig

Domkhedi heißt ein winziges Kaff in den schroffen Satpura-Bergen am Unterlauf der Narmada. Knapp 50 Familien vom Stammesvolk der Bhil, Nachfahren der Ureinwohner im westlichen Indien, leben hier von der Landwirtschaft, vom Sammeln und Jagen. Autos hatte man hier noch nie gesehen. Es gibt keine Schule, keinen Laden, weder Strom noch Telefon. Ein Ort wie zigtausend andere, von der Welt vergessene Dörfer im indischen Hinterland.

Seit einem Monat aber steht Domkhedi im Licht der Öffentlichkeit. Reporter kommen und gehen, Besucher treffen aus allen Teilen des Landes ein, am Dorfrand kampieren Polizisten. Medha Patkar, eine der Wortführerinnen des Protestes und 1991 mit dem alternativen Nobelpreis ausgezeichnet, hat sich am 20. Juni mit Kollegen und Freunden in einer Bambushütte am Ortseingang eingerichtet. Die Aktivisten und die Dorfbewohner protestieren gegen die Überflutung von Domkhedi und vielen anderen Bhil-Dörfern durch den Stausee des Sardar Sarovar-Dammes, der 50 Kilometer stromabwärts entsteht.

Jetzt hängt alles vom Monsun ab. Wenn nach starken Regenfällen der Fluß rasch anschwillt, bildet sich hinter dem halbfertigen Damm ein Rückstau, der Flutwellen auslösen kann. Mitte Juli etwa stieg der Pegel in Domkhedi vorübergehend um 7 Meter. Damals machte die Flut erst kurz vor dem kleinen Bergdorf Halt. Für den Ernstfall haben die Demonstranten gelobt, ihre Hütte nicht zu verlassen. Eher wollen sie ertrinken, als ihr Land aufzugeben.

Die Bhil betrachten die Narmada als ihre Mutter, und das Land, das sie seit Generationen ernährt hat, nennen sie „Vater“. „Falls der Damm weitergebaut wird und noch mehr Menschen die Lebensgrundlagen geraubt werden sollte, werden wir den Freitod im Wasser suchen“, droht die 45jährige Medha Patkar, die seit zehn Jahren die „Bewegung zur Rettung der Narmada“, NBA, führt.

Das Narmada-Projekt sieht den Bau von 30 Großstaudämmen und Tausenden kleinerer Talsperren über die 1.300 Kilometer lange Narmada und ihre Nebenflüsse vor. Zwei Großdämme sind bereits in Betrieb, an zehn weiteren Projekten wird gearbeitet. Der Sardar-Sarovar-Damm ist das derzeit umstrittenste Projekt. Am Bau eines Wasserkraftwerkes nahe der historischen Stadt Maheshwar beteiligen sich auch deutsche Firmen, wie der Siemens-Konzern.

Hunderttausende Hektar fruchtbarer Ackerböden und artenreicher Tropenwälder könnten in Stauseen versinken. Insgesamt eine halbe Million Menschen müßten weichen. Und indische „Umsiedlungsprogramme“ enden für viele Betroffene im Slum.

Seit mehr als zehn Jahren versucht die NBA daher, die Dammbauten zu stoppen – mit wechselndem Erfolg. Eine Klage der Narmada-Bewegung veranlaßte im März 1995 das oberste Gericht in New-Delhi, die Bauarbeiten an dem auf 162 Meter Höhe projektierten Sardar-Sarovar-Damm bei 80 Metern anzuhalten. Im vergangenen Februar gestatteten die Richter eine Erhöhung der Staumauer um 5 Meter unter der Bedingung, daß zuvor alle betroffenen Dorfbewohner umgesiedelt werden müßten. Genau dies sei aber nicht geschehen, kritisiert Medha Patkar. In 60 Adivasi-Dörfern seien zweitausend Familien akut bedroht. Der Sitzstreik in Domkhedi sei ein symbolischer Akt gegen die „illegale“ Überflutung, zur Verteidigung der Lebensgrundlagen der Adivasi.

Der Ernstfall könnte für die Protestierenden eintreten, wenn nach starken Regenfällen die Talsperren Bargi und Tawa am Oberlauf der Narmada überlaufen und die Schleusentore geöffnet werden müssen. Sicherheitshalber hat die Regierung rund 20 Polizisten abgeordert, die eingreifen sollen, um ein Ertrinken der Aktivisten zu verhindern. Märtyrertote kann sich die Regierung gerade jetzt nicht leisten: In den kommenden Tagen und Wochen will das oberste Gericht wieder darüber verhandeln, ob der Sardar-Sarovar-Damm weitergebaut oder dem Antrag der NBA auf Revision stattgegeben wird. Diese fordern neben einem Baustop eine umfassende Neubeurteilung des Projekts unter Beteiligung der Betroffenen. Zur selben Zeit wollen Tausende von Unterstützern aus dem ganzen Land, angeführt von der Starautorin Arundhati Roy, durch das Narmada-Tal ziehen.

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