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„Die Krise gibt uns eine neue Chance“

Der Gipfel von Sarajevo hat gezeigt, daß man aus den Erfahrungen in Bosnien gelernt hat: Der „Stabilitätspakt“ soll UNO und OSZE keine Konkurrenz machen, er soll die Aktivitäten bündeln    ■ Aus Sarajevo Erich Rathfelder

Angetreten waren die meisten Vertreter der 39 Staaten und 17 internationalen Organisationen, die sich gestern in Sarajevo zur Diskussion eines „Stabilitätspaktes“ für den Balkan versammelt hatten, um den Schwung der Nato-Länder aus der Aktion im Kosovo fortzusetzen. Vor allem die Deutschen und US-Amerikaner drängten schon im Vorfeld darauf, mit dem Stabilitätsgipfel die Initiative für die zivile und wirtschaftliche Gestaltung des Balkans zu ergreifen.

Die Region soll durch kräftige finanzielle und wirtschaftliche Hilfen langfristig wieder auf die Beine kommen. Wie der Marschallplan nach dem Zweiten Weltkrieg Westeuropa aufbauen half, soll nun Südosteuropa den wirtschaftlichen Wiederanschluß erreichen. Gleichzeitig sollen die Demokratisierung gefördert und die Menschenrechte gesichert werden. Die Staaten der Region sollen zur regionalen Kooperation angeleitet und dann an die EU herangeführt werden.

Bodo Hombach, der neu ernannte Balkan-Koordinator der EU, will den Staaten der Region keine Atempause gönnen. Die Lage ist tatsächlich günstig. Die Repräsentanten der Staaten der Region seien zur Kooperation bereit, der Wunsch nach Frieden und Prosperität sei von allen Gesprächspartnern klar zum Ausdruck gebracht worden, erklärte Hombach mit einem Seitenblick auf die Vertreter der bosnischen Volksgruppen, die sich seit Jahren schwertun, Kompromisse einzugehen. Der Stabilitätspakt sei als ein Prozeß zu verstehen, in dem die Staaten der Region sich mit den internationalen Institutionen zusammenfinden sollen. Bereits im August werde die Arbeit beginnen, indem sogenannte Tische organisiert würden, etwa die Tische Demokratie und Menschenrechte, Sicherheit und Wirtschaft. Im Oktober könnten dann die ersten konkreten Maßnahmen entschieden werden, erklärte Hombach. Und zitierte den makedonischen Präsidenten Kiro Gligorov: „Die Krise gibt uns eine neue Chance.“

„Der Stabilitätspakt wird für eine ganze Generation wirksam sein müssen“, dämpfte der deutsche Außenminister Joschka Fischer Erwartungen, daß schon in kurzer Zeit alles besser werden würde. Den Nationalismus zurückzudrängen, die Menschen der Region auf den Weg der Integration zu führen, brauche seine Zeit, erklärte Fischer, der als Initiator der Konferenz gilt. Ohne die Serben langfristig mit im Boot zu haben, werde man wohl wesentliche Entscheidungen gar nicht treffen können. Er hoffe aber, so Fischer, daß sich die politischen Verhältnisse bald änderten.

Die internationale Gemeinschaft hat seit der Installierung der De-facto-Protektorate in Bosnien-Herzegowina und jetzt im Kosovo gelernt, das Krisenmanagement besser zu koordinieren. Der Stabilitätspakt solle den internationalen Organisationen wie OSZE oder den Unterorganisationen der UNO keine Konkurrenz machen, er solle die Aktivitäten bündeln, sagte etwa der Schwede Carl Bildt. Konkrete Wirtschaftshilfe jedoch werde es erst nach gewissenhaften Prüfungsverfahren geben.

Das befürchten auch die Staaten der Region. Deshalb fielen die Reaktionen unterschiedlich aus. Ein makedonischer Delegierter hofft, daß mit dem Stabilitätspakt wirtschaftliche Kompensationen, wie sie durch die Nato-Aktion gegen Jugoslawien für die Anrainerstaaten notwendig geworden seien, endlich entschieden würden. Doch viele Regierungen sind mißtrauisch, was davon die politischen Implikationen sind.

Lediglich in bezug auf Jugoslawien sind diese konkret ausgedrückt. Mit Jugoslawien wird nicht mehr verhandelt. Solange dort Miloševic an der Macht ist, wird Serbien von dem Stabilitätspakt ausgenommen. Die jugoslawische Teilrepublik Montenegro dagegen wird hofiert. Ihr Präsident Milo Djukanovic wurde nach Sarajevo eingeladen und brachte als Zeichen für seine Bereitschaft, mit den internationalen Organisationen zusammenzuarbeiten, die Nachricht mit, Montenegro habe eine neue Währung eingeführt. Der „konvertible Dinar“ soll die Teilrepublik von dem Kursverfall des jugoslawischen Dinar absetzen helfen und Voraussetzungen dafür schaffen, daß das Land von Sanktionen ausgenommen werden kann.

Reaktionen auch von kroatischer Seite: Präsident Tudjman, der zu Hause zunehmend an Zustimmung verliert, sehe in dem Stabilitätspakt einen Versuch, die Unabhängigkeit Kroatiens zu revidieren, heißt es aus dem kroatischen Lager. Die Souveränität eines Landes soll nach den Initiatoren des Stabilitätspaktes nicht tangiert werden, die Staaten der Region müßten jedoch ihre demokratischen Institutionen weiterentwikkeln, die Pressefreiheit garantieren und die Menschenrechte schützen, um vom Pakt zu profitieren.

Gerade das Tudjman-Regime kann von dieser Forderung nichts Gutes erwarten. Angesichts der bevorstehenden Wahlen jedoch könnte sich nach Ansicht vieler Politiker, so auch des neuen Bosnien-Beauftragten, dem Österreicher Wolfgang Petritsch, das Problem von selbst lösen. Eine neue Regierung in Kroatien hätte gute Chancen, eine positive Rolle in der Region zu übernehmen.

Das Kosovo wird die Unterstützung, die in Brüssel auf der Geberkonferenz zugesagt worden war, so schnell wie möglich erhalten. Mit Verwunderung haben die meisten westlichen Politiker zur Kenntnis genommen, daß die kosovo-albanische Bevölkerung den Wiederaufbau des Landes bereits selbst in die Hand genommen hat, daß schnelle und direkte Hilfen tatsächlich noch vor dem Winter zu konkreten Ergebnissen führen könnten. Christian Clages, Berater im deutschen Kanzleramt und Bosnien-Experte, sieht auch eine positive Entwicklung für Bosnien-Herzegowina. „Viele Serben erkennen jetzt, daß die Politik von Miloševiac gescheitert ist.“ Es gebe Anzeichen dafür, daß nun bosnische Serben in ihre angestammten Wohnungen in der muslimisch-kroatischen Föderation, andererseits mehr muslimische und kroatische Vertriebene in die Republika Srpska zurückkehrten.

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