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Hochzeit im Verwaltungsaquarium

Hamburgs Bezirksämter stellen auf Kundenorientierung um  ■ Von Gernot Knödler

Die Alarmglocke schrillte, als immer weniger EimsbüttlerInnen in ihrem Bezirksamt heiraten wollten. „Allenfalls zwei Drittel“ seien es zum Schluß gewesen, bilanzierte gestern Bezirksamtsleiter Jürgen Mantell (SPD). Der kafkaeske Charme des „ehemals modernsten Rathaus Europas“, seit 1956 im Wesentlichen unverändert, fand keinen Anklang mehr. Jetzt präsentiert sich das Bezirksamt im Aquarienstil: Wens interessiert, der kann im Erdgeschoß den Verwaltungsleuten beim Pässe ausstellen zuschauen und den Paaren beim Heiraten.

Was in Eimsbüttel gestern eröffnet wurde, ist sichtbarer Ausdruck der Reformbemühungen der Bezirksämter. Sie entdecken den Bürger als Kunden. Ausmaß und Tempo der Veränderungen sind in Hamburgs sieben Bezirksämtern allerdings unterschiedlich. Alle planen, Bürger- oder Kundenzentren einzurichten, wo ein und derselbe Sachbearbeiter Aufgaben des Einwohnermeldeamtes zusammen mit Dienstleistungen aus anderen Ämtern abwickelt. Wer sich ummeldet, kann bei einem Umzug innerhalb Hamburgs gleich das Auto mit ummelden, sich von den Fernsehgebühren befreien lassen und einen Angelschein beantragen. Das zweite, dritte und vierte Mal anstehen entfällt.

In Nord und den Vier- und Marschlanden in Bergedorf gibt es ähnliches schon. Das Bürgerbüro in Eimsbüttel dient vorerst nur dazu, bereits in einem vereinfachten Verfahren beantragte Ausweise abholen zu können, ohne Paternoster fahren zu müssen. Außerdem können sich AusländerInnen am Nachbartresen rechtlich beraten lassen.

Harburg, Wandsbek, Mitte und Altona wollen im nächsten Jahr, zum 1. September, Mitte 2000 und im Dezember nachziehen. Was jeweils bei einem Allround-Sachbearbeiter erledigt werden kann, hängt vom Bezirk ab. „Man kann immer nur die Sachen anbieten, für die man nicht auf papierene Akten zurückgreifen muß“, sagte Gerd Hünerberg, Verwaltungsleiter des Bezirksamtes Wandsbek der taz. Überdies dürfe kein spezieller Sachverstand, wie zum Beispiel für das Bewilligen von Sozialhilfe, gefragt sein.

In Bergedorf läuft derzeit ein Experiment: eine Abteilung im Bauamt, in der sich BürgerInnen alles genehmigen lassen können, was sie sich ausser dem Bau auch noch erlauben lassen müssen wie das Überfahren von Gehwegen oder Eingriffe in den Wasserhaushalt. Es gehe um „die Behandlung aller Aufgaben, die aus Kundensicht für die Regelung eines Lebenssachverhalts nötig sind“, sagt Verwaltungsdirektor Klaus Wolters. Altona hat einen ähnlichen Schalter für „Sondernutzungen“ eingerichtet. Hier wird es nun ganz unkompliziert, Kneipentische auf den Gehsteig zu stellen. Wenns genehmigt wird.

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