: Hopsen, röhren und Rollschuh fahren
Die Jugend: Zuerst schmirgelte sie bei der „Punica Jam Session“ im Columbiabad die Wände runter und füllte sich mit Melonensaft ab. Danach ließ sie sich von Sens Unique und Fettes Brot wieder beleben ■ Von Martin Ebner
„Sonderveranstaltung“: Die Warnung am Eingang des Sommerbades Neuköln war deutlich. Trotzdem verirrten sich am Samstag ein paar über 30-Jährige auf die Liegewiese. Sie saßen dort verloren auf ihren Picknick-Kühltaschen, schirmten sich hilflos mit Büchern gegen die überall herumkurvenden Jugendlichen ab und versuchten so zu tun, als ob es ein ganz normaler Badenachmittag wäre. Zuweilen blickten sie irritiert in Richtung Musikbühne, wo von „Blumentopf“ und anderen HipHop-Bands deftig „Scheiße, Scheiße, Scheiße!“ geröhrt oder aus Leibeskräften „Du Wichser!“ gebrüllt wurde.
Nicht, dass Senioren, also Menschen jenseits des Schulalters, beim Berliner Stopp der bundesweiten „Punica Jam Session '99“ nicht geduldet worden wären. Im Gegenteil: Ihre tapsigen Versuche mit Kickboards und anderen Rollzeugen, die man sich kostenlos ausleihen konnte, wurden wohlwollend kommentiert. Eltern, die nicht wussten, was eine Halfpipe ist, wurde diese Bildungslücke bereitwillig geschlossen: Eine Halfpipe ist eine große, über einem hohen Gerüst u-förmig gebogene Fläche, auf der man skaten oder Fahrrad fahren kann (falls dort nicht gerade „Unik Wizzards“, die deutschen Vizemeister im Breakdance, ihre Muskeln zucken lassen und auf dem Kopf kreiseln).
Das Prinzip einer Halfpipe ist recht einfach: Auf der einen Seite fährt man hinunter, auf der anderen hinauf – und das stundenlang. Wenn Profis wie die Gruppe „Urban Culture“ auftreten, wird dieses Hin und Her allerdings durch Saltos und ähnliche Kunststücke aufgelockert. Das sieht nicht nur gefährlich aus, sondern hat tatsächlich einen Zug ins Heldische: Wer nicht „in control“ ist, schmirgelt die Wand runter und schleift sich dabei Haut und Hose ab. Das ist dann schon krass megapeinlich.
Obwohl andererseits blutige Ellenbogen Status und Prestige verleihen. Natürlich nur bei Jungen. Von Mädchen wird eigentlich bloß erwartet, gut aussehend mit leicht blasiertem Gesichtsausdruck neben der Halfpipe zu stehen und demonstrativ desinteressiert zu den Jungen aufzuschauen.
Wenn eine Halfpipe neben dem von Rettungstauchern und DLRG-Orangehemden bewachten Schwimmbecken des Columbiabades steht, heißt sie „Waterramp“ und bietet Gelegenheit, mit Kleidern ins Wasser zu fallen. Aus irgendwelchen Gründen klappte das aber am Samstag nicht, weshalb es die Stars von „Urban Culture“ vorzogen, ihr BMX-Rad daneben auf das 10-Meter-Brett hochzutragen und dann mit dem Gefährt ins Wasser zu platschen. „Is geil!“, erklärte Stefan, als er wieder auftauchte. „Is wirklich geil?“, hakte der Moderator des „Splash Contest“ nach. „Auf jeden Fall!“, versicherte Stefan erschöpft und glücklich. Nachahmer aus dem Publikum fand er trotzdem keine.
Stark frequentiert wurde dagegen die mit vier Plastikpalmen verschönte „Skate 'n' Flirt Corner“: eine Pinnwand mit Nachrichten wie „Nr. 1098 – ich will dich kennen lernen!“ oder „Nr. 3017, du bist wunderschön!“ Auf jeden Besucher ein Etikett mit Nummer zu kleben und so das Kennenlernen zu fördern – das schien einem echten Grundbedürfnis zu entsprechen. Wie viel mehr Beziehungen hätten sich stiften lassen, wenn nur das Wetter etwas strahlender und blauer gewesen wäre!
Allerdings wäre dann die Session die Veranstalter auch viel teurer gekommen. Erst Becher mit extragroßen Saugrüsseln zu verkaufen und dann gratis Fruchtsaft auszuschenken – so ganz ausgereift ist diese Marketingidee wohl dann doch noch nicht. Immerhin gelang es „Sens Unique“ um 20 Uhr nicht nur, das mit Melonensaft abgefüllte und zunächst ausgesprochen klatschfaule Publikum mit Aufrufen wie „Ihr müsst schon auch ein bisschen mitmachen!“ erfolgreich aus seiner Lethargie zu reißen, sondern auch den Regen zu vertreiben.
Die Hamburger Band Fettes Brot hatte danach leichtes Spiel. Die Stars des Abends begeisterten alle „Freunde der Nacht, Freunde des Katasteramtes“ mit Songs wie „Silberfische in meinem Bett – der Tag fing Scheiße an“ oder „Mikrokosmonaut“. Fettes-Brot-Sänger Flash Müller outete sich („Wegen meiner Science-Fiction-Affinität werde ich oft verlacht und verachtet!“) und gab seinen Zuhörern Denkstoff mit auf den Nachhauseweg: „Die Menschen werden immer dümmer.“
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