: Purer Antisemitismus und Nationalismus
Der Überfall auf ein jüdisches Gemeindezentrum in Los Angeles wurzelt in einem christlichen Antisemitismus. Der Attentäter gehört einer mörderischen Sekte namens „Phineas-Priester“ an ■ Aus Washington Peter Tautfest
Bufford O. Furrow, der Mann, der in dieser Woche in ein jüdisches Gemeindezentrum nördlich Los Angeles eindrang und mit 700 Schuss aus einer Uzi-Maschinenpistole fünf Menschen – darunter drei Kinder – verletzte, hat sich in Las Vegas dem FBI gestellt. Er gestand, auch einen Postboten in der Nähe des Gemeindezentrums erschossen zu haben. Bufford Furrow war erst mit dem eigenen, dann in einem mit gestohlenen Fahrzeug entkommen, um schließlich für 800 Dollar mit einem Taxi nach Las Vegas zu fahren.
Wer der Amokschütze war, wurde bereits unmittelbar nach der Tat aus Papieren deutlich, die in seinem Wagen gefunden wurden. Buford Furrows gehörte der rechtsextremen Gruppe „Arische Nation“ an, die in Idaho, im Nordwesten der USA, ihre Heimat hat. Die Seattle Times enthüllte, dass Furrow, der nahe der Grenze zu Idaho in einem abgelegenen Gebiet des Bundesstaats Washingtons lebte, letztes Jahr darum nachgesucht hatte, in einer psychiatrischen Klinik aufgenommen zu werden. „Manchmal habe ich Angst auszurasten und fürchte, ich werde eines Tages in einem Einkaufszentrum wild um mich schießen“, gestand er damals in einer gerichtlichen Vernehmung. Als Furrow darauf hingewiesen wurde, was eine solche Einweisung bedeuten würde, griff er das Krankenhauspersonal mit dem Messer an und verletzte eine Pflegerin. Dafür saß er fünf Monate im Gefängnis, bevor er auf Bewährung frei kam.
Furrow war ein bekannter Neonazi, der mit niemand Geringerem als Debbie Mathews zusammenlebte. Debbie Mathews ist die frühere Ehefrau des 1994 bei einem Feuerwechsel mit dem FBI getöteten Robert Mathews, der noch heute vielen amerikanischen Neonazis als legendärer Held gilt. Mathews, der den „Orden“ gründete, leitete eine systematische Bomben-, Attentats- und Bankraubkampagne. Während Mathews sich aber in nordische Mythologien verspann und den Gott Odin verehrte, wandte sich Furrow der Gruppe „Christian Identity“ zu, die in den Juden die Nachfahren eines Seitensprungs Evas mit dem Teufel sieht. Nach ihrer Auffassung kann Christus auf die Erde nicht zurückkehren, solange Juden, Schwule und Schwarze auf der Welt sind. Furrows rechnete sich zu den sogenannten Phineas-Priestern, die ihren Namen vom Nachfahren Aarons herleiten, der einen israelischen Prinzen tötete, weil dieser eine Frau aus einem anderen Stamm geheiratet hatte. Die „Phineas-Priester“ sind Einzelgänger, die sich durch Mord und Totschlag selbst ihre Weihen verleihen. Die Bibel der Phineas-Priester ist das ein Buch eines gewissen Richard Hoskin: „Die Vigilanten Christi“. In einer Werbung zu diesem Buch schreibt Hoskins: „Was die Kamikaze den Japanern, die Schiiten den Muslimen, die Zionisten den Juden sind, das sind die Phineas-Priester dem Christentum.“ Hoskins Buch über die Juden im amerikanischen Bankensystem wurde in Furrows Auto gefunden. Nach Einschätzungen von Organisationen, die die sogenannten Hassgruppen studieren, hat die „Christian Identity“ eine Gefolgschaft von cirka 35.000, nach anderen Einschätzungen aber von höchstens 5.000 Anhängern. „Obwohl es dergleichen extreme Formen des Antisemitismus in Deutschland nicht gibt – und das nicht nur, weil er in Deutschland strafrechtlich verfolgt würde“, erklärt der Soziologe Jerry Riemer, „wurzelt der amerikanische christliche Antisemitismus doch in der Tradition der sogenannten Deutschen Christen, die davon ausgingen, dass Christus kein Jude, sondern ein Arier war und dass das gesamte Alte Testament aus babylonischen und nicht aus jüdischen Quellen stammt – dass die Juden mithin keinerlei kulturellen Beitrag geleistet haben“.
In der amerikanischen Öffentlichkeit entflammt jetzt reflexartig wieder die Diskussion über den ungehinderten Zugang zu Waffen. Furrow hinterließ tausende Schuss Munition und mehrere Gewehre in seinem Wagen. Bisher aber werden Themen wie dieses aggressive Christentum in Amerika nicht diskutiert. Das könnte sich mit diesem Verbrechen ändern.
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