: „... mit fremdrassigen Divas am Strande“
Die Gründung einer Landesgruppe der NSDAP in Palästina in den dreißiger Jahren gehört zu den skurrileren Kapiteln der NS-Geschichte. Zugleich ist sie ein Lehrstück darüber, wie sich ein prosperierendes Gemeinwesen ehrgeizigen Nazifunktionären unterwarf und damit sein eigenes Ende einläutete ■ Von Ralf Balke
Wer heute den am Fuße des Carmel-Gebirges gelegenen Ben-Gurion-Boulevard in Haifa oder den Stadtteil Emek Refaim in Jerusalem besucht, stößt immer wieder auf Gebäude, über deren Eingänge Deutschsprachiges eingemeißelt sind. Es ist das architektonische Erbe der Templer, schwäbischer Siedler, die nach 1868 ihre Heimat verlassen hatten und im osmanischen Palästina die „Errichtung des Reiches Gottes auf Erden“ planten. Zwar fiel mangels Masse dieses Projekt ins Wasser, nur etwa tausend Personen fanden den Weg ins Gelobte Land.
Dennoch war das fromme Kolonisationsprojekt der Tempelgesellschaft, einer pietistischen Abspaltung der württembergischen Landeskirche, der erste geglückte Versuch einer europäischen Ansiedlung in der Region seit der Zeit der Kreuzzüge. Über drei Generationen hinweg lebten die palästinadeutschen Siedler nicht mit, sondern neben ihren jüdischen und arabischen Nachbarn. Mit einer gehörigen Portion Chauvinismus blickten sie auf die Araber herab, die nur „das Brot der Faulheit essen“. Den Erfolg der Zionisten sahen sie indes mit Missgunst, schließlich schwand mit jeder neuen Einwanderungswelle die Hoffnung dahin, eines Tages über Palästina zu herrschen.
Dabei hing der hohe Lebensstandard der deutschen Einwanderer völlig von beiden Bevölkerungsgruppen ab. Araber stellten die billigen Arbeitskräfte, die Juden waren der Absatzmarkt. Trotzdem blieb die in den dreißiger Jahre fast 2.500 Personen zählende palästinadeutsche Minorität abgeschottet gegenüber ihren Außenwelten. Die Warte des Tempels, das Zentralorgan der Tempelgesellschaft, brachte die palästinadeutschen Befindlichkeiten 1935 auf den Punkt, seit Generationen habe man sich „in der Rassenfrage ganz im nationalsozialistischen Sinne verhalten“. In rund achtzig Jahren waren Ehen mit nichtdeutschen Partnern rar.
1933, mit Hitlers Ernennung zum Reichskanzler, setzte bei den Palästinadeutschen eine Politisierung ein. Zwar gab es schon seit dem Vorjahr erste Kontakte mit der später unter dem Namen „Auslands-Organisation der NSDAP“ firmierenden Parteidienststelle, die für NS-Mitglieder im Ausland zuständig war. Aber zählte man 1933 erst sechs Parteimitglieder in Palästina.Doch schon Ende 1933 waren es 42, eine Zahl, die auf über 330 im Januar 1938 anwuchs. Das waren rund siebzehn Prozent aller Palästinadeutschen, fast jeder dritte Erwachsene.
Ein ungewöhnlich hoher Anteil, weil nur fünf Prozent aller Deutschen jenseits der Reichsgrenzen das braune Parteibuch besaßen. Was machte die NSDAP für pietistische Menschen in einer jüdisch-arabischen Umwelt attraktiv? Am Charisma der lokalen Parteimatadore konnte es kaum gelegen haben, diese nutzten die lokale NSDAP vornehmlich als Plattform zur Austragung ihrer Intrigen.
Auffällig ist, dass ein Engagement zugunsten der NSDAP rasch als Chance betrachtet wurde, das eigene soziale Prestige zu steigern. Doch blieb man immer den religiösen Wurzeln treu. Cornelius Schwarz, von 1935 an NSDAP-Landesgruppenleiter, empfand Adolf Hitlers Rundfunkreden als „Gottesdienst“.
Die Tatsache, dass die NS-Auslandsorganisation schon sehr früh ein reges Interesse an der politischen Einstellung deutscher Staatsbürger jenseits der Reichsgrenzen zeigte und sich dabei gerne auf Berichte ihrer Parteigänger stützte, förderte das Gefühl, vom neuen Regime gebraucht zu werden. Besonders Diplomaten galt die Aufmerksamkeit. Bereits 1932 fragte die Auslandsorganisation, ob sich „in dem Judenland“ unter den Konsulatsangehörigen „Freimaurer, Judengenossen oder Zentrumsleute“ befänden.
Karl Ruff, Architekt aus Haifa und NS-Mann der ersten Stunde, antwortete prompt. Der Reichsvertreter in Jerusalem, Generalkonsul Nord, würde kein deutsches Auto fahren und „lieber mit fremdrassigen Divas am Strande sich amüsieren“. Welche Dynamik diese Denunziationen auslösten, bekam Nords Nachfolger, Heinrich Wolff, zu spüren. Seine Kontakte mit der Jewish Agency machten ihn in den palästinadeutschen Gemeinden zur Persona non grata.
Als Ludwig Buchhalter, Jerusalems neuer NSDAP-Ortsgruppenleiter, davon Wind bekam, dass Wolffs Ehefrau eine zum Protestantismus konvertierte Jüdin war, sah man die Chance, ihn aus dem Amt zu hebeln. Eine Flut von Beschwerdebriefen setzte ein. 1935 wurde Wolff aus dem diplomatischen Dienst entfernt. Sein Nachfolger Walter Doehle entpuppte sich als ein Mann, der „wirklich auf dem Boden des Nationalsozialismus steht“.
In nur wenigen Jahren hatten sich in allen deutschen Siedlungen Palästinas Ortgruppen der NSDAP etabliert, wobei man das aus dem Dritten Reich bekannte Organisationsspektrum kopierte. Viele Details aus dem braunen Alltag in Palästina, wie etwa Hebräischsprachkurse erscheinen aus heutiger Sicht skurril. Für die Beziehungen zu ihrer jüdischen und arabischen Außenwelt hatte die Gleichschaltung jedoch desaströse Folgen, insbesondere in den Unruhejahren zwischen 1936 und 1939. Denn trotz aller Neutralitätsbekundungen verdächtigten die Juden sie der Parteinahme zugunsten arabischer Aufständischer; diese wiederum sahen in den deutschen Siedlern enge Verbündeten im Kampf gegen Juden und Briten.
Schließlich begann auch die britische Mandatsmacht die Palästinadeutschen verstärkt ins Visier zu nehmen, vermutete man doch in ihnen eine fünfte Kolonne. Die Situation wurde nach 1936 brenzlig: „Ihre Araber“ fielen durch ein „freches, herausforderndes Benehmen“ auf, sie seien „arbeitsunlustig und störrig“, beklagte sich Ernst Blaich aus der deutschen Siedlung Bethlehem. Plötzlich sahen sie sich Streiks und Erpressungsversuchen ausgesetzt, man erkannte, so Kurt Lange, stellvertretender NSDAP-Stützpunktleiter von Bethlehem und Waldheim in Galiläa, dass „wir auf Gedeih und Verderben mit dem Wohl und Wehe der artfremden Gastvölker verbunden sind“.
Nur die Hoffnung der arabischen Aufständischen, vom Dritten Reich Waffen geliefert zu bekommen, hielt sie davon ab, gegen die ungeliebten deutschen Siedler gewaltsam vorzugehen. Trotz einer Verschlechterung ihrer wirtschaftlichen Lage kamen die Palästinadeutschen in den Unruhejahren glimpflich davon, ja sie hatten sogar eine Art Sonderstellung. So forderten die Araber explizit die Hakenkreuzfahne an deutschen Fahrzeugen als Erkennungszeichen zum ungehinderten Passieren arabisch kontrollierter Gebiete, damit keine Verwechslungen mit Juden oder Briten geschehen konnten.
Landesgruppenleiter Cornelius Schwarz erlaubte 1936 gar allen Nichtparteimitgliedern, zu ihrem Schutz das Hakenkreuz zu tragen. Eine Maßnahme, die zur weiteren Solidarisierung mit der NSDAP führte. Jüdische Emigranten, die gerade vor dem Naziterror aus Deutschland geflohen waren, zeigten sich geschockt, nach ihrer Ankunft in Palästina wieder Hakenkreuze erblicken zu müssen. Es kam zu absurden Szenen: Der täglich zwischen der deutschen Siedlung Wilhelma und Jerusalem pendelnde Molkereiwagen führte eine Hakenkreuzfahne an Bord, die von gelegentlich mitfahrenden jüdischen Passagieren geschwenkt wurde.
Jerusalems Ortsgruppenleiter Ludwig Buchhalter berichtet, dass er mit einer Hakenkreuzfahne am Auto während einer Fahrt nach Jaffa arabisch kontrollierte Dörfer problemlos passieren konnte, dann aber von jüdischen Fahrzeugen unter Feuer genommen wurde. Auch wenn die Sympathien der deutschen Siedler eindeutig auf Seiten der Araber lagen, an Terrorakten gegen Juden oder Briten waren sie nie beteiligt. Wohl aber lieferten einige von ihnen dem als Mitarbeiter der deutschen Nachrichtenagentur DNB getarnten SS-Sicherheitsdienstmann Franz Reichert viele Informationen.
Der Zweite Weltkrieg bedeutete das Aus für die deutschen Siedlungen in Palästina. Bereits am Tage vor Ausbruch der Kämpfe hatte ein Teil der Wehrpflichtigen das Land verlassen. Der militärische Vormarsch der Truppen von Feldmarschall Erwin Rommel in Nordafrika im Sommer 1941 bot den Briten den Anlass, über fünfhundert noch verbliebene Palästinadeutsche nach Australien zu deportieren, wo sie voller Hoffnung auf den Endsieg noch 1945 Führers Geburtstag im Internierungslager feierten.
Eine Rückkehr nach Palästina war nach 1945 unmöglich. Die Solidarisierung der Palästinadeutschen mit dem Dritten Reich hatten in jüdischen Augen ein Bild von der deutschen Siedlergemeinschaft geformt, das genau zum Entwurf der NS-Auslandsorganisation vom „Auslandsdeutschtum als integralem Bestandteil des deutschen Volkskörpers“ paßte und bis 1948 zur endültigen Ausweisung der restlichen Deutschen führte.
Die Mitglieder der Tempelgesellschaft leben heute in Deutschland und Australien. Ihr Neubeginn wurde ihnen dadurch erleichtert, dass Israel 54 Millionen Mark aus der Summe der deutschen Wiedergutmachungszahlungen verwenden musste, um alle Palästinadeutschen, ungeachtet ihrer politischen Vergangenheit, für ihr konfisziertes Eigentum zu entschädigen. Selbst ein Ex-Ortsgruppenleiter wie Ludwig Buchhalter ging dabei nicht leer aus.
Ralf Balke, 37, Historiker, lebt in Düsseldorf, schreibt u. a. für die Allgemeine Jüdische Wochenzeitung.
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