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Variationen über einen Maggi-Werbetexter

■ Mit fünf Wedekind-Abenden beenden elf SchauspielerInnen ihre zweijährige Ausbildungszeit im „Studio 13“

Einer der trostlosesten Eingänge, die man sich bei einem Kleinsttheater vorstellen kann: Vorbei an Türen, aus denen Hotelküchengerüche in die schmale Straße wehen, vorbei an öligen Parkdecks, gelangt man an eine kleine Tür. Daneben ist blaßblau eine 13 gepinselt. Dahinter: Flutende, weiße Vorhänge. Heute aber gibt's, dem russischen Namensgeber des Ensembles „Cechov“ zum Trotz, dort düster-deutschsprachiges Fin de Ciècle. Genauer: Frank Wedekind. Ein Abend „Frühlings Erwachen“, zwei Abende „Lulu“-Material.

Es gibt viele gute Gründe, sich mit dem noch naturalistischen und doch schon expressionistischen Werk des Dramatikers auseinanderzusetzen. Wedekind habe nicht weniger als dreiundzwanzig Dramen geschrieben, sagt Markus Herlyn, künstlerischer Leiter des „Cechov-Ensembles“. Vieles sei bis heute überhaupt nicht zur Kenntnis genommen worden. Außerdem stammt aus „Frühlings Erwachen“ einer der lustigsten Sätze, die je fürs Theater geschrieben wurden: „Mama braut uns wieder eine Limonade, und wir plaudern gemütlich über die Fortpflanzung.“ Die elf SchauspielerInnen des Ensembles zeigen, warum derart entspanntes Geplauder über Sexualität eine Illusion ist. Damals wie heute.

Das Studio 13 ist nicht einfach ein weiteres Minitheater. Genau genommen ist es gar kein Theater, obwohl sich alles hier um Text, Ausdruck, Bewegung, Sprechen und Inszenieren dreht, sondern eine Theaterschule. Das Sommerprogramm mit dem Titel „(durch die Mitte ab)“ ist Bestandteil eines Schauspielkurses. Den Begriff Ausbildung hört Herlyn nicht so gern, weil er so klinge, als brauche man nur ein wenig Handwerk lernen. Bei der Schauspielerei höre das Lernen aber nie auf.

Die Auseinandersetzung mit dem Material wie mit den eigenen Fähigkeiten ist ein Prozeß. „Trockenübungen“ sollten nicht von der Inszenierungspraxis getrennt sein. Da kommt die russische Tradition, die Herlyn in Moskau studiert hat, durch. Seine Arbeit sei eben auch als Versuch zu verstehen, die Erkenntnisse der Moskauer Schauspielschule GITIS für hiesige Verhältnisse nutzbar zu machen. Das meint vor allem die theaterpädagogische Arbeit Anatolij Wasilijews, ein Name, mit dem man das (freilich kritische) Weiterführen dessen markiert, wofür Stanislawski bekannt ist. Kurz: Das Credo des „Method Acting“, mit seiner Rolle stets im Hier und Jetzt zu sein, wird durch den winzigen Stolperstein erweitert, dass man zugleich eben auch ganz woanders zu sein hat. Die Figuren werden ambivalent. Keine Lesart ist eindeutig.

Da ist es klar, dass die Wedekind-Texte nicht einfach zu einer geschlossenen Erzählung geformt werden können. Szenisch wird dieser Gedanke dadurch umgesetzt, dass viele der Szenen parallel gespielt werden. Da streift nicht ein Melchior adoleszierend durch den Wald und trifft seine angebetete Wendla, sondern drei. Passend dazu gibt's derer ebenso viele, so dass sich der verwirrt-erotische Dialog der beiden gleich dreimal entspinnt. Das macht Sinn, denn nicht die psychologisierte Einzelfigur tritt in den Mittelpunkt, sondern Wedekinds Stich ins Herz der verlogenen bürgerlichen Moralvorstellungen über Sexualität und Körperlichkeit um die Jahrhundertwende. Ist das nicht schon schrecklich lang her? Gewiss, aber viel hat sich gar nicht geändert. Sofort können alle ihre mehr oder weniger peinlichen Erinnerungen an Klassenfahrten, die erste Liebe, das erste Besäufnis andocken.

Überhaupt wird der Zeitsprung immer wieder ebenso geschickt wie simpel benannt. Etwa wenn Gymnasiast Melchior aus einem Buch zitiert, in dem er aus einem Buch zitiert, das er für die Schule lesen muß. Auf dem Umschlag steht, ganz klar: Wedekind, Frühlings Erwachen. Die Szenen der „Improvisation...“ folgen locker aufeinander. Nicht eigentlich Regiearbeit ist das, eher eine Recherche, die das Material genauso betrifft wie die eigene Position der AkteurInnen. Dummerweise muss man Mitdenken dabei. Gemein! Aber da das junge Ensemble sich abwechslungsreich durch Wedekind gräbt, ist genau das ein ausgesprochenes Vergnügen.

Beim ersten Abend zum „Lulu“-Material, „Der Erdgeist Gedächtnis (I)“ betitelt, passiert das gleiche. Etwas weniger prägnant. Was daran liegen mag, dass sich das Prinzip der parallelen Szenen wiederholt, oder das Ensemble schlicht weniger gut aufgelegt ist als am Abend zuvor. Es braucht seine Zeit, bis es sich freigespielt hat, denn die Personage ist viel älter als In „Frühlings Erwachen“ und viel älter als die SchauspielerInnen selbst.

Die „Erdgeist“-Bearbeitung konzentriert sich auf jene Aspekte, die mit „Frühlings Erwachen“ korrespondieren. Lulu als junge Naive, so etwas wie ein Gegenentwurf zu Nietzsches Übermenschen, oder als femme fatale, jedenfalls Spiegelfläche männlicher Sexualität. Insgesamt gelingt es dem Cechov-Ensemble, Spielfreude mit den philosophischen Subtexten sehr eindringlich zu verbinden. Auch ein dramatischer Versuch über das Theater selbst.

Wedekind war übrigens der erste Werbetexter für Maggi. Ein frühes Stück Popkultur. Auch das wird gespiegelt, indem mit Pulp Fiction, HipHop oder „Spiel mir das Lied vom Tod“ Gegenwart in die Inszenierungen hineingesamplet wird. Sehr stimmig meist. Der Rapsong geht so: Let's talk about Fortpflanzung! Tim Schomacker

Weitere Aufführungen: „Frühlings Erwachen“ heute, 20 Uhr. „Erdgeist“ 18. August, 20 Uhr, im Studio 13, Breitenweg 13 (Hintereingang). Am 21. u. 22. August, 19 Uhr, Regiearbeiten zu Szenen von Wedekind. Karten: Tel.: 70 23 54

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