: Auf Konfrontationsmontage
Die Großstadt ist kein Ort, an dem man der Gesellschaft mal richtig schön ins Gesicht schauen kann: Ein Text- und Bildband der AG Baustop Randstadt übt Kritik an der gegenwärtigen städtischen Politik ■ Von Sebastian Weber
„Hallo Chef, wir sitzen hier und denken noch über eine Alternative nach.“ So oder ähnlich heißt es in einer Bierreklame, wo die kreativen Schlingel der neuen Mitte schon am helllichten Tag auf König-Pilsener sind, und statt im Büro zu arbeiten, hängen sie draußen im Grünen ab. Dass die Musterbürger, sobald sie Nachwuchs und genug Kredit haben, sich dort gerne im Eigenheim einrichten, gehört zu den großen Sorgen des urbanistischen Mainstreams: Stichwort Stadtflucht. Leute, die bereit sind, die ihnen im vorherrschenden Metropolen- und Kapitalentalk zugedachte „Trägerrolle“ (so Berlins Stadtentwicklungssenator Strieder) bei der „Wiedergeburt der Bürgerstadt“ (so der Historiker Karl Schlägel) zu übernehmen, bleiben nach wie vor Mangelware.
Es ist jedoch nur ein schwacher Trost, dass diese und ähnliche Leitbilder sich irgendwo in der Wirklichkeit blamieren. Was sie sonst noch tun, ausblenden, herbeireden, darüber erfährt man mehr in einem guten Kontrastprogramm, so wie es etwa in Berlin letzten Herbst mit der Ausstellung „baustop. randstadt“ lief. In dem jetzt als Nachtrag zur Ausstellung erschienenen Text- und Bilderbuch schreiben die AusstellungsmacherInnen gleich zu Anfang: „Ausgangspunkt war die Beobachtung, dass Konflikte um die Ausrichtung Berlins auf gehobenen Konsum, spekulative Privatisierung von öffentlichem Grund und Abwicklung Ost gegenüber der Dringlichkeit von 'Sachzwängen‘ fortwährend weggeschoben werden.“
Und weil das so ist, wäre es ziemlich dumm, sich die Großstadt als den Ort auszumalen, wo man der Gesellschaft mal so richtig schön ins Gesicht schauen kann. Solche imaginären Blickkontakte wirken besten- oder schlimmstenfalls hypnotisch, ansonsten bestätigen sie nur, was man eh schon glaubt. „Baustop“ versucht es dagegen mit einem ausgesprochen vielstimmigen Kontrastprogramm. Mit einem Problempluralismus, der politisch korrekt oder einfach wach genug ist, Polarisierungen gerade nicht zu vermeiden. Exemplarisch dafür ist, dass im Register des Buchs gleich nach „BürgerInnen“ „Christiane F.“ vorkommt. Ihr Name steht da für eine epochale Berliner Geschichte, die weder dem Muster einer juristischen Falluntersuchung noch dem einer sentimentalen Erfolgsstory entspricht, obwohl es selbstverständlich Berührungen in beide Richtungen gibt. Was in linker Theorie „hegemoniale gesellschaftliche Erzählungen“ heißt, steckt eben überall drin, aber nirgends alleine.
Dass diese Geschichte sich unvorhersehrbar verzweigt, zeigt „baustop“ mit dem Video „Station 2 Station“ (nach Bowies Song, der in Christianes Clique allerdings als „It's Late“ gehört wurde). Neben Ausschnitten aus Uli Edels stupider Verfilmung des Bestsellers „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ läuft hier auch ein Interview mit jemandem, der irgendwo in der westdeutschen Provinz das Buch gelesen hat, nach Berlin kommt, dort ins „Sound“ geht, um enttäuscht festzustellen, dass in diesem durch die Geschichte berühmt gewordenen Laden nur noch Schweinerock läuft und auch keine Drogen zu bekommen sind ... Es sind solche Realfiktionen, die nicht aufhören, sich zu verzweigen oder zu verstreuen, und dabei verschiedene Medien durchlaufen, denen „baustop“ folgt. Ein anderes Beispiel: Erinnert sich noch jemand daran, wie Der Spiegel seine Papiertiger auf Neukölln losgelassen hat? Bevor dieses denkwürdige Delirium kurz erwähnt wird, heißt es: „Die Herstellung marginalisierter sozialer Räume ist ein aktiv gesteuerter Prozess, der weit über die materielle räumliche Praxis hinausreicht. Er umfasst auch die Stigmatisierung städtischer Quartiere durch spezifische gesellschaftliche Redeweisen, in denen die Akteurinnen aus Politik und Stadtplanung eine ebenso zentrale Rolle spielen wie Medien und wissenschaftliche Disziplinen.“
Schon richtig, aber trotzdem gehören solche Passagen im Seminarsound eher zu den schwächeren des Buchs. Das mag daran liegen, dass hier die gedankenstimulierende Kraft der Konfrontationsmontage nachlässt. Konfrontationsmontage? – So könnte man das Gestaltungsprinzip der Ausstellung nennen, das sich im Buch, bis ins Schriftbild, noch einmal wiederholt. Der Einwand, hier würden bloß Informationen weitergegeben, den sich „Baustop“ von Seiten der Kunstkritik eingehandelt hat, wirkt angesichts dessen merkwürdig kurzschlüssig. Schließlich ist es keine Selbstverständlichkeit, dass Informationen ihren repräsentativen und autoritativen Status so nachdrücklich nachdenklich zur Disposition stellen, wie das hier geschieht – am Rand des Kunstbetriebs oder tatsächlich schon einen Schritt darüber hinaus: Etwas, das auch für die geschulten Sinne nicht mehr als Kunst zu erkennen ist, was ja eine echte Leistung ist. Was würde wohl Luhmann dazu sagen?
AG Baustop Randstadt, „Aggressives, nicht-akkumulatives, städtisches Handeln auf knapp 300 Seiten“, b-books, Berlin 1999, 28 DM
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