■ Die Bundeswehr und der Kampf gegen den Terrorismus: Fantastische Planspiele
„Hätten die Terroristen den bei ihrem Anschlag auf das World Trade Center benutzten Lieferwagen nicht mit ANFO (Ammoniumnitrat), sondern mit Kernmaterial gefüllt, so wäre vielleicht das gesamte untere Manhattan in die Luft geflogen.“ Dieser Satz steht (noch) nicht in den Planspielen, die bei der Bundeswehr derzeit die Runde machen. Er stammt vom amerikanischen Terrorismusforscher Walter Laqueur, einem Meister des spekulativen Konjunktivs. Offenbar finden dessen Phantasien bei der deutschen Generalität jedoch Anhänger. Da ist auf einem Führungsseminar von zunehmender Brutalität von Terroranschlägen unter Ausnutzung von Massenvernichtungswaffen die Rede. Wie es scheint, brennen auf der Hardthöhe heute die Sicherungen durch, die beim Bundeskriminalamt bereits vor Jahren ausgewechselt wurden.
Während der 70er Jahre, der Hoch-Zeit des bundesdeutschen Terrorismus, wurde auch bei den Terrorismusbekämpfern darüber philosophiert, was wohl geschähe, wenn die RAF Trinkwasser vergiften würde oder sich Zugang zu spaltbarem Material verschaffte. Mit der Realität in der Bundesrepublik hatte das damals schon wenig zu tun. In den Denkstrukturen des sozialrevolutionären Terrorismus kommen solche Überlegungen nicht einmal vor. Zudem ist der hiesige Terrorismus (spätestens) mit der Selbstauflösung der RAF bendet. Und wenn von chemischen Kampfstoffen die Rede ist, steht unverkennbar der Giftgasanschlag der japanischen Aum-Sekte Pate. Auch ganze Dörfer sind hierzulande nicht abgeschlachtet worden – Deutschland ist nicht Algerien.
Welche Motive bei der Führung der Bundeswehr hinter den Überlegungen auch stecken mögen, die Notwendigkeit, einen Einsatz im Innern zu diskutieren, liegt derzeit noch im Dunkel. Die Debatte ist auch überflüssig, denn träte eine solche Situation tatsächlich ein, wäre der Einsatz der Armee über die Notstandsparagrafen des Grundgesetzes hinreichend abgedeckt. Weiterer Regelungen bedarf es nicht. Deshalb ist auch die Argumentation, wonach nur die Armee „über die notwendige Expertise und das notwendige Gerät“ verfüge, um derartige Lagen zu beherrschen, nur vordergründig richtig. Als die Diskussion bekannt wurde, übte sich der Verteidigungsminister Scharping in Dementi. Das reicht, wie sich jetzt zeigt, nicht aus. Diese Gespensterdebatte ist nachdrücklich zu beenden, und sie muss persönliche Konsequenzen für die Verantwortlichen haben.
Otto Diederichs
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