: Freude am Blenden und Pfählen
■ Krumm gewachsene bis edelst endgefertigte Fabulierkunst: Horst Tomayers „German Poems“ sind zwar unziemlich disparat, aber dennoch ziemlich komisch
Kein Mensch will Lyrik-Bändchen lesen. Das ist ganz normal: Entweder sind diese Bücher voller sinnreicher Metaphern und Bilder so schwer verständlich, dass sich Leserin und Leser enorm anstrengen müssen, um zu verstehen, was die komprimierten Gedankengänge ausdrücken wollen. Oder die Gedichte sind so simpel, dass einem beim beim Lesen langweilig wird. Die einzige Ausnahme, die sowohl pensionierte Studienräte als auch jugendliche Rotweintrinker gelten lassen, ist Robert Gernhardt. Denn der ist ja witzig.
Aber der Vertreter der „Neuen Frankfurter Schule“ ist nur Mentor eines historischen Genres, als dessen Mit-Wiedererwecker er gilt. Das „lustige Gedicht“ – mit Niveau, versteht sich – ist eng mit seinem Namen und denen seiner Kollegen F. W. Bernstein und Friedrich Karl Wächter verknüpft. Ihre Nachfolger haben Schwierigkeiten, mit ihnen zu konkurrieren.
Horst Tomayer versucht den Vorwurf der Epigonalität zu vermeiden, indem er in seinem jüngsten Gedicht-Band German Poems die Formen mischt. Neben klassischen Humorgedichten verwendet er die Satire ebenso wie moralische Betrachtungen. Letztere stehen dem inzwischen über 60-Jährigen zwar zu. Einen Gefallen tut er sich damit aber nicht.
Denn gerade in den übertriebenen Strophen glänzt der konkret-Kolumnist Tomayer durch entzü-ckende Einfälle. So verhängt der überzeugte „Radlfahrer“ im Poem „Tomayers Kleine Fahrraddiebhalsgerichtsordnung“ über den Zweiradklauer das Urteil und lässt es gleich auf bestialische Art und Weise vollstrecken: Blenden, Arme und Beine abhacken, pfählen, auf das Rad binden und den Geiern zum Fraß vorwerfen läßt er den Übeltäter. Schauder und Freude gleichzeitig durchfahren den Leser: Ein dezidiert Linker verlangt die Todesstrafe.
Doch die Auswahl und Anordnung der Gedichte ist der Konzep-tion geschuldet. „Fein assortierte Erst-, Zweit- und Drittveröffentlichungen, von krumm gewachsen bis edelst endgefertigt“ avisiert die editorische Notiz. Genau darum handelt es sich letztlich auch: Ein Sammelsurium von Texten, deren Zusammenhang nur darin besteht, dass sie vom gleichen Autor stammen.
Letztlich aber überwiegt doch die Freude an der Fabulierkunst und den Wortschöpfungen Tomayers ebenso wie das Vergnügen an Ernst Kahls begleitenden Illustrationen. Die Strichzeichnungen sind so einfach gehalten wie die Gedichte und verfehlen ihre Wirkung trotzdem nie. Tomayer erfüllt alle Anforderungen, um gelesen zu werden: Er macht klare Aussagen und ist dabei dennoch hin-reißend komisch.
Eberhard Spohd
Horst Tomayer: German Poems. Mit Zeichnungen von Ernst Kahl, Edition Nautilus, Hamburg 1999, DM 24,80 Mark
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