: „Das ist ja kein ehrlicher Sport“
Dienstag und Donnerstag sind die Wett- und Renntage beim Traben in Bahrenfeld ■ Von Gernot Knödler
Hansjörg Richter (Namen sind geändert) will betrogen werden. Er sagt es selbst. Der massige 50er, der von der Stehtribüne aus die Wettkämpfe auf der Bahrenfelder Trabrennbahn verfolgt, hat heute einen schlechten Tag. Deshalb nimmt er es den Jockeys besonders krumm, wenn er glaubt, sie hätten ein Rennen getürkt. „Da hat Henning wieder die Leute verarscht“, schimpft er nach dem Preis von Usedom.
Traben ist ein bisschen wie Gehen bei Menschen – vom gleichen inneren Widerspruch beherrscht: einerseits so schnell sein zu müssen wie möglich und andererseits nicht laufen oder galoppieren zu dürfen. „Springt“ eines der Tiere und macht damit Boden gut, wird es disqualifiziert. Da braucht so ein junges Pferdchen bloß ein wenig nervös zu sein oder der Jockey mal nicht aufzupassen...
Beim Preis von Usedom war Rex K der klare Favorit gewesen. Neun von zehn Experten hatten ihn auf Platz eins gesehen. Und Erna Meyer, eine weißhaarige kleine Rentnerin, die noch zwei Jahrzehnte Wett-Erfahrung mehr zu bieten hat als Richter, hatte geurteilt: „Der kann gar nicht verlieren.“ Denkste.
„Was sind das für Banditen hier“, sagt Richter, ungläubig den Kopf schüttelnd. „Das verärgert doch das ganze Publikum.“ Auf diese Weise werde die Bahrenfelder Trabrennbahn noch kaputt gemacht. Das wäre schlecht. Denn wenn die Pächterin der Bahn, die Hamburger Trabrenngesellschaft, Recht hat, müsste Hamburg dann auf seinen „größten Dauersportveranstalter nach dem HSV“ verzichten. Und Schwierigkeiten hat die Bahn ohnehin schon mehr als genug: Die asbestverseuchte Tribüne muss saniert werden.
Es geht volkstümlich zu in Bahrenfeld. Zwischen den Rennen erklingen Märsche und Schlager; Standardmahlzeit ist die Wurst, die vor der Tribüne auf Biertischen verzehrt wird; zu trinken gibt es Gerstensaft. Das ist aber alles nicht so wichtig. Denn wer auf die Rennbahn kommt, hat sich für einen anderen Zeitvertreib entschieden.
Während zum Beispiel Erna Meyer in der Rennzeitung „Starter“zu ergründen sucht, wer wohl das nächste Rennen machen wird, klappt auf der breiten Sandbahn der Starterwagen seine Flügel aus: ein dunkelbrauner schwerer Mercedes mit einer putzigen Kabine auf dem Dach. Während er anrollt, beobachtet der Starter in der Dachkabine, wie hinter ihm die Traber verspielte Kringel fahren. Erst allmählich kommt Ordnung ins Chaos und die Gespanne fangen an, hinter dem Klappgestänge des Starterautos her zu traben. Irgendwann verkündet der Tribünensprecher: „Pferde am Auto“.
Die letzten Spieler gehen mit einem Stapel Wettscheine in der Hand in den Kassensaal. Ihr Timing ist perfekt. Selten muss sich einer sputen, um rechtzeitig den Tipp loszuwerden. Draußen auf der Bahn traben noch immer einige Gespanne hinter den anderen drein. Offenbar haben die Jockeys Angst, ihre zierlichen Renner könnten ihnen durchgehen. Trotz ihres Nachteils beschleunigt der Wagen und schwenkt ab zum Rand der Piste. Start frei! Wie in der Leichtathletik formiert sich im Nu eine dichte Kolonne, die sich kompakt über die Bahn bewegt. Im Innenkreis fährt ein weißer Bus mit, aus dem die Schiedsrichter glotzen.
Als die Gespanne in die Schlussgerade einbiegen, wird es auf der Stehtribüne endlich lebendig. Die WettspielerInnen strömen aus der Halle und recken die Hälse. Jetzt legen die Jockeys noch einen Zahn zu. Das Feld entzerrt sich, im Publikum schreit es „nein, nein!“, und aus dem zweiten oder dritten Glied trabt einer an den anderen vorbei zum Sieg. Triumphgeschrei bleibt aus. Kurze Wutausbrüche sind schon eher zu hören. Die eine oder andere Miene verrät: Die Spieler jubeln in sich hinein.
Erna Meyer zeigt zufrieden auf ihren Wettschein: „Kuck, das ist das, was mein Mann immer sagt.“ Man darf nie nur auf Sieg setzen, sondern immer darauf, dass ein Pferd den ersten oder zweiten Platz erreicht, ist die goldene Regel ihres Mannes. Damit fährt sie besser als Richter. Immer wieder kann sie sich einen oder zwei Hunderter abholen, die sie aber auch gleich wieder einsetzt.
„Man ist schon froh, wenn man sein Geld wieder zurück hat“, sagt die Rentnerin, macht einen Riss in einen Versager von Wettschein und läßt ihn zu Boden gleiten. Richter zerknüllt die Wettscheine, mit denen er nicht gewonnen hat. Den ganzen Abend lang tut er kaum was anderes. „Ich bin so gut situiert, daß ich es mir leisten kann, mal 100 oder 200 Mark hier zu lassen“, behauptet er, schränkt aber ein: „Wir haben aber auch Tausender mitgenommen.“ Der Verlust von zwei- oder dreihundert Mark an einem Rennabend ist beiden das Vergnügen wert. „Ich bin so ein bisschen ein Spieler“, sagt Erna Meyer, „ich spiel gerne“. Im Kasino hat sie mal 1300 Mark nach Hause genommen.
Auch Richter, der wie Meyer schon als Kind mit auf der Rennbahn war, sucht vor allem Unterhaltung. „Ich will gar nicht immer gewinnen“, behauptet der Beamte, „ich will nur nicht so offen angeschissen werden“, womit er wieder bei seinem Lieblingsthema ist: Die Preisgelder in Bahrenfeld – an diesem Abend maximal 5500 Mark – seien zu niedrig, weshalb die Fahrer und Pferdebesitzer durch Absprachen ihre Kasse aufzubessern suchten. „Sonst kämen doch nicht solche Quoten zu Stande“, spekuliert er. In den Tausendern liegen sie bisweilen, zwischen 300 und 600 müssten es nach Ansicht Richters sein.
Diese Überzeugung ist auch der Grund, warum er trotz seiner langjährigenWett-Erfahrung oft nach dem Zufallsprinzip wettet: „Wenn Sie fünfmal auf die Fresse geflogen sind, dann sagen Sie, da setz' ich doch lieber auf die Anfangsbuchstaben.“ Auf alle Pferde, deren Namen mit „R“ beginnen, zum Beispiel: Reach Out, Randi Star, Reggie Ass. „Das ist ja kein ehrlicher Sport“, sagt Richter achselzuckend.
Erna Meyer findet, er übertreibt. Still und hell sitzt sie auf der Bierbank und träumt in ihre Rennzeitung. Ab und zu wackelt sie auf krummgelaufenen Sandalen vor zur Rennbahn oder hinüber zum Wettschalter. Sie gewinnt, verliert, gewinnt und will am Ende nicht so recht sagen, wie ihre Bilanz aussieht. Hansjörg Richter verliert an dem Abend 200 Mark. Für das „bisschen Extravaganz“ in seinem Beamten-Leben gibt er sie gerne aus – Beschiss hin oder her.
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