: Bieder wie James Last im ZDF
■ Oder: Warum das Musikfest im Fernsehen kein Vergnügen ist
Und jetzt kommt die Musik“ – nein, nicht etwa Udo Jürgens unter Dieter Thomas Heck: „Sir John“ Gardiner erscheint, von der Radio-Bremen-Moderatorin Ulla Hamann locker flockig announciert. Wir sind nicht in der Weser-Ems-Halle, sondern im eigenen Wohnzimmer. Und wir erwarten die Direktübertragung des Eröffnungskonzertes des Bremer Musikfestes auf 3sat, dem Kanal – wie man sagt – des ewigen Studienrates. Die HiFi-Anlage ist bereit, die Erwartung ist hoch. Findet sich nun endlich, was bislang nie sich fügte: die kongeniale optische Umsetzung eines Sinfoniekonzertes? Schließlich sind musikalische Spitzenkräfte am Werke, um den gebildeten Kreisen unserer Stadt und denen draußen an den Empfangsgeräten, Romantisches und Revolutionäres darzubieten.
Das Orchestre révolutionaire et romantique entfachte, so war aus den Lautsprechern zu hören, die dunkle Glut der Schumannschen Romantik zum prasselnden Feuer und bündelte die lodernden Flammen der „Eroica“ des großen Ludwig van zur Stichflamme eines Schweißbrenners – schließlich war die Metallindustrie Unterweser Sponsor der Veranstaltung. Auf der Mattscheibe jedoch das Übliche: ein Konzertereignis wird dokumentiert, nicht gestaltet. Das ist zwar erheblich mehr, als uns üblicherweise im TV als Konzertübertragung geboten wird, aber genug ist es letztlich nicht. Bei Konzerübtragung fühlt man sich immer in die 50er Jahre zurückversetzt.
Warum sich eine groß angelegte, musikalische Entwicklung nicht in ein stimmiges filmisches Konzept umsetzen lässt, leuchtet mir nicht ein. Warum ist immer gerade der groß im Bilde, der gerade die erste Geige spielt? Oder warum gerade nicht? Wieso kann eine fugenähnliche Entwicklung nicht optisch sich selbst erklärend über den screen laufen? Wieso muss der Fernsehzuschauer bei jedem Höhepunkt den Dirigenten von vorne bestaunen?
Sir John – das muss leider gesagt werden – ist weder ein durch die Würde des Alters geadelter Kapellmeister, noch ein perfekter Musikdarsteller. Ihm fehlt auch der skurrile touch, der andere englische Dirigenten auszeichnet und der beglückt. Immerhin ist es kein Zufall, dass der Dirigent dem Publikum üblicherweise den Rücken zeigt. Abgesehen davon irritiert es, wenn man die 2. Geigen links sieht und rechts hört. Warum müssen Bildschnitte immer so bieder ausfallen, als ob James Last im ZDF Seniorenabend blasen würde? Und warum sieht man immer nur die am ersten Pulte und nicht die, die sich am letzten abplagen? Immerhin sieht man, wieviel konzentrierte Arbeit notwendig ist, um Musik zum Klingen zu bringen, auch wenn der meist wenig telegene Schweiß des Dirigenten optisch dominiert.
Na ja, trotzdem war das Eröffnungskonzert bei 3sat ganz schön. Und immerhin besser, als die Übertragung aus Lübeck am folgenden Tag mit Bruckners 7. Sinfonie, deren Regie sich doch recht stark an Karajans Teleästhetik orientierte, die ein Orchester wie eine Militärparade abfilmte.- Darf man hoffen auf Besserung? Ich hoffe auf neue Konzepte. Mario Nitsche
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen