: „Umfragen sind Umfragen“
■ Für Karl-Heinz Kunckel, Parteichef und Spitzenkandidat der sächsischen SPD, stehen die Chancen bei den Landtagswahlen miserabel. Schuld daran, glaubt Kunckel, sind die Bundespolitik, die „neue Mitte“ und das Sommertheater seiner Partei
taz: Vor Ihrem Einstieg in die Politik waren Sie Messtechniker. Was sagen die Sensoren drei Wochen vor der Wahl zu den Chancen der SPD?
Karl-Heinz Kunckel: Es gibt Umfragewerte. Denen zufolge haben wir im letzten halben Jahr an Akzeptanz verloren. Aber Umfragen sind noch keine Wahlen, und wir haben noch eine ganze Menge Zeit, die Werte zu verbessern.
Das haben Sie auch schon vor einem Monat gesagt. Die Werte sind seitdem nicht besser geworden. Momentan lauten sie: CDU 54, PDS 20 und SPD 16 Prozent. Zeit bleibt genau noch 18 Tage.
Natürlich hätte ich mir gewünscht, dass die Großwetterlage für die SPD in den letzten Monaten günstiger gewesen wäre. Ich bleibe aber für den 19. September optimistisch.
Meinen Sie mit Großwetterlage das von Ihren Parteifreunden zum Spielplan erklärte Sommertheater?
In der Tat kann man sich für seinen Wahlkampf eine bessere Zeit als diesen Sommer wünschen. Da sind zuletzt viele Dinge unnötig gewesen, die mir die Arbeit schwer gemacht haben. Wenn sich aus meiner Partei beispielsweise jemand hinstellt und via Medien den Dieselpreis um 40 Pfennig erhöhen will, dann ist das Gift für jeden Wahlkampf. Aber je schwieriger die Situation ist, um so mehr regt sie bei mir den Wunsch, heftiger zu kämpfen.
Wie viel schwieriger hat denn Finanzminister Eichel die Situation gemacht, als er sich vorgestern zum Aufbau Ost äußerte?
Der Vorwurf der CDU, Eichel würde die Ostländer erpressen, ist infam. Wer in 16 Jahren 1.500 Milliarden Mark Schulden auftürmt, sollte still sein, wenn sein Nachfolger endlich Ordnung in die Staatsfinanzen bringt. Solide Bundesfinanzen sind eine Voraussetzung für den weiteren Aufbau Ost – insofern hat Eichel Recht, wenn er einen Zusammenhang zwischen Sparpaket und Solidarpakt herstellt. Aber ich kann ihn und andere nur davor warnen, die Solidarpaktverhandlungen mit Forderungen im Vorfeld zu erschweren.
Wenn Sie auf der Straße sind: Mit welchen Themen kommen die Sachsen auf Sie zu?
Die Topthemen betreffen die Bundespolitik. Zusammengefasst fragen die Leute: Ist Solidarität, ist die soziale Gerechtigkeit noch euer zentraler politischer Inhalt? Ich kann mit gutem Gewissen sagen: Ja. Wenn ich dann auf Schröders Korrekturen der von Kohl übernommenen Schieflage verweise – Stichwort Kündigungsschutz, Stichwort Medikamentenzuzahlung, Stichwort Lohnfortzahlung und vieles mehr –, komme ich bei den Leuten gut an.
Offenbar zählt die Landespolitik nicht zu den Topthemen?
Die Bundespolitik bestimmt das Klima, in dem Landtagswahlen stattfinden. Gleichwohl haben wir deutliche Botschaften für Sachsen. Statt wegen Kindermangels Schulen zu schließen, wollen wir Klassenstärken verringern und so Bildungsqualität verbessern. Biedenkopf hat beim Thema Verwaltungsreform versagt. Bei den Kommunalabgaben ist eine schlimme Politik gelaufen, die wir korrigieren werden. Und Sachsen hat seine wirtschaftliche Spitzenposition im Osten wegen falscher Politik verloren. Das und anderes thematisiere ich.
Den Messtechniker befragt: Wie stark ist der bundespolitische Einfluss auf ein Landtagswahlergebnis?
Das ist natürlich nicht ausrechenbar. Klar ist aber, dass unsere Chancen vor einem Jahr ganz andere gewesen wären.
Jetzt droht die SPD im „Ursprungsland der deutschen Sozialdemokratie“ – wie Sie Sachsen nannten – nur noch dritte Kraft zu werden.
Das glaube ich nicht. Umfragen sind Umfragen. Und uns bleibt noch Zeit, um den populistischen Wahlkampf der PDS zu entlarven.
Die Zusammenfassung Ihrer Parlamentsarbeit der letzten Legislatur trägt den Titel „Trommeln für die kleinen Leute“. Ist das der sächsische Abschied von der „neuen Mitte“?
Die ostdeutschen Sozialdemokraten haben sich bislang zu wenig mit dem Begriff „neue Mitte“ auseinandergesetzt. Fakt ist, dass die SPD ihren zentralen Wert – die soziale Gerechtigkeit – niemals aufgeben wird. Neben Chancengleichheit wird bei uns Umverteilung zu Gunsten sozial Schwacher immer eine Rolle spielen. „Neue Mitte“ über Einkommensschichten definieren zu wollen, ist völlig falsch. Der Begriff ist vielmehr einer programmatischen Mitte zwischen Ideologien geschuldet – zwischen einem gegen Arbeitnehmer gerichteten Neoliberalismus und einer ausgesprochen an der Nachfrage orientierten Politik. Es geht bei der „neuen Mitte“ um einen ideologiefreien Pragmatismus, der wertegebunden ist.
Die Frage ist, ob der Wähler das nach dem Schröder-Blair-Papier auch so sieht.
In der Tat ist mit dem Papier der Eindruck entstanden, dass die SPD alles darauf richten wolle, maximale Bedingungen für wirtschaftliches Agieren zu schaffen. Dies ist nicht so.
Was wird aus Kunckel nach dem 19. September, wenn Sie das Blatt nicht wenden können?
Ich werde die Bemühungen, die SPD in die Regierungsverantwortung zu bringen, nicht aufgeben. Es wird keine „Ära nach Kunckel“ beginnen.
Interview: Nick Reimer
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