: Die Hauptstadt lernt den Luxus
Schönes Kleid hast du da an! Auf so ein Kompliment folgte in Berlin jahrzehntelang die Standardantwort: Das habe ich ganz billig im Ausverkauf erstanden. Teure Kleidung, Luxus gar, war hier verpönt. So was liebten die Eltern in Westdeutschland. In den letzten Jahren jedoch haben sich in Berlin eine ganze Reihe von Luxusgeschäften niedergelassen. Vor zwei Wochen erst eröffnete gar Hermès am Kurfürstendamm. Und siehe da: Die Berliner gehen hin, fassen an, prüfen, fragen. Die Verkäufer wiederum – das ist eie noch größere Überraschung – lieben die Berliner. In welcher anderen Stadt der Welt darf sich ein Verkäufer noch als Aufklärer fühlen? Ein Rundgang durch die Geschäfte von Anja Seeliger
Berlin und die Mode – ist das vielleicht ein Thema? Es gibt inzwischen in Berlin eine Reihe von jungen Designern, die ihre eigenen Geschäfte eröffnet haben. Was die meisten auszeichnet, ist ein experimenteller Umgang mit Stoff. Beim Schnitt freilich zeigt sich leider fast immer ein Mangel an Kunstfertigkeit. Das Material kann noch so schön sein – was nützt es, wenn am Ende immer ein formlos weites Kleid vom Bügel oder von den Schultern hängt? Auch bei der Verarbeitung lassen Berliner Designer noch wenig Raffinesse erkennen. Aber wo soll die auch herkommen? Berlin hat keine Schneidertradition mehr wie England. Sie wurde von den Nazis vernichtet. Es gibt auch keine Haute-Couture-Werkstätten wie in Paris, die das Banner der Handwerkskunst hochhalten.
Und doch tut sich was in Berlin. Das zeigt sich vor allem an Geschäften, die zum Teil schon vor drei, vier Jahren hier eröffnet haben. Das Seltsame ist, daß sie immer noch existieren. Denn sie bieten etwas in Berlin einfach Unerhörtes: Luxus. „Wenn mir jemand sagt: Tausend Mark für ein Paar Schuhe, das ist ja verrückt, dann antworte ich: Gucken Sie doch mal, was Ihr Auto gekostet hat. Die Leute haben für bestimmte Sachen immer schon viel Geld ausgegeben. Nur Kleidung gehörte bis jetzt nicht dazu“, erklärt Maren Seibert. Bei Diedrich & Seibert in der Gipsstraße 14 kann man sich Maßschuhe anfertigen lassen. Das erste Paar kostet etwa 1.500 Mark, jedes weitere um die 800, denn der Leisten muss nur einmal gebaut werden.
Klemens von Truschinsky hat sein Schuhgeschäft nahe dem Kurfürstendamm, in der Bleibtreustraße 27. Hier kann man unter anderem Maßkonfektionsschuhe von Edward Green erstehen. Diese Schuhe kosten zwischen 1.000 und 1.200 Mark, aber es gibt auch billigere Maßkonfektion ab 500 Mark. Solche Preise ist man in Berlin nicht gewöhnt. Teure Kleider wurden hier immer mit Verachtung gestraft. Doch seit etwa zwei Jahren befinden sich die Berliner in einer Phase der Aufklärung.
Das betrifft nicht nur Modegeschäfte. In Berlin-Mitte, gleich neben den Hackeschen Höfen, gibt es zum Beispiel das Möbelgeschäft Driade, das nicht nur für Berliner Verhältnisse unglaublich teuer ist. Ein dreisitziges Sofa aus Kirschholz mit einem Bezug aus weißem Halbleinen mit Hohlsaum kostet 7.880 Mark. Es gibt aber auch hübsche Kleinigkeiten wie einen Besteckkasten aus Birnbaumholz für 125 Mark oder eine famos konstruierte Käsereibe aus Holz für 182 Mark.
Driade gibt es hier seit Oktober 1996. „Die Leute sind unglaublich neugierig“, erzählt eine Verkäuferin begeistert. Kein Wunder, der Laden ist wie eine Schule, in der man ausprobieren kann, was gutes Design eigentlich ist. Was ist das Besondere an Aluminium? Wie beurteilt man, ob der Mechanismus einer Schiebetür länger als zwei Monate hält? Es gibt erstaunlich praktische Dinge wie die Korbchaiselongue von Ross Lovegrove. Die Sitzfläche wird etwa auf Höhe der Knie ganz schmal, so dass man die Beine bequem auf die Erde stellen und das Fußteil als Schreibunterlage benutzen kann.
Das Interessante bei diesen Geschäften ist, dass sie dem Kunden nicht einfach eine Marke vorsetzen, sondern mit ihm zusammenarbeiten. So sind die Regale und Schränke unendlich kombinierbar, und man kann sich die Materialien aussuchen. Da kein Mensch erwartet, dass sich jemand für so teure Möbel oder Schuhe in fünf Minuten entscheidet, gehen die Verkäufer geradezu davon aus, dass der Kunde ausprobiert und fragt. Die Verkäufer sind sachkundig, und der Kunde lernt, auch wenn er noch nichts kauft.
„Manche Menschen“, sagt Klemens von Truschinsky, „erfahren erst hier beim Vermessen, dass sie zwei unterschiedlich große Füße haben.“ Er macht zwar keine Maßschuhe, aber in seiner Maßkonfektion gibt es sechs verschiedene Weiten, die mit den Längen kombinierbar sind. Das engt die Passtoleranzen auf einen halben Zentimeter ein. Ist man sich erst mal über die Passform einig, geht es an die Auswahl des Leders, des Designs und der Sohle. All das kann der Kunde selbst bestimmen. Aber weiß er, was der Unterschied ist zwischen Kalbleder und Hirschleder? Woran erkennt man eine gute Ledersohle, und was bedeutet eigentlich rahmengenäht? Warum soll man einen guten Lederschuh nur jeden zweiten Tag tragen und warum ist die Ausgabe von hundert Mark für einen hölzernen Schuhspanner eben keine überflüssige Ausgabe, sondern sorgt dafür, dass der Schuh zehn bis zwölf Jahre hält? Bei Deichmann erhält man solche Auskünfte bestimmt nicht.
Auch das Modegeschäft T & G in der Rosenthaler Straße 34 – 35 sieht sich vor allem als Vorboten der Aufklärung. „Wenn hier ein junger Mann reinkommt und das erste Mal in seinem Leben einen Anzug kauft – woher soll der wissen, ob eine Jacke gut verarbeitet ist? Oder wann sie gut sitzt?“ ereifert sich Geschäftsführer Horst Rautenberg. Und woran erkennt man einen guten Anzug? „Zum Beispiel daran, dass die Knöpfe am Ärmel nicht nur als Dekoration aufgenäht sind, sondern sich aufknöpfen lassen.“ T & G führt hauptsächlich Givenchy und Kenzo. Im ersten Stock können sich Frauen nach Anmeldung sogar eine Robe von Balenciaga oder von Givenchy anpassen lassen. Zu teuer? Macht nichts. Wer sich hier hat beraten lassen, wird künftig auch bei einem Anzug von Peek & Cloppenburg auf die Passform achten.
Die teuersten Geschäfte sind zum Lernen gerade gut genug: Darum lernt man bei Hermès am meisten. Das Pariser Luxushaus hat vor zwei Wochen einen provisorischen Laden am Kurfürstendamm eröffnet. Im nächsten Jahr werden die Geschäftsräume vergrößert – dann kann man hier fast das komplette Hermè-Programm erstehen, samt maßgefertigter Sättel und Maßschuhen von John Lobb. Dafür wird dann zweimal im Jahr ein Herr aus England angereist kommen, um an Berliner Füßen Maß zu nehmen. Aber das, wie gesagt, gibt es erst im nächsten Jahr. Jetzt kann man schon mal die Kleider begutachten, die so verarbeitet sind, dass sie von beiden Seiten getragen werden können, die wunderbar dicken Kaschmirpullover, Geschirr, Tücher und Taschen. Eine Hundetragetasche für 2.200 Mark mag dem Berliner erst mal lächerlich scheinen. Aber wenn er mit Sabine Neubauer, der Directrice de Magasin, ins Plaudern kommt, weiß er hinterher alles über Büffelleder und wie man erkennt, ob der Henkel mit Leder oder Kunststoff gefüllt ist. Danach wird er womöglich immer noch keine Tasche für über zweitausend Mark kaufen, wird sich aber nicht mehr so leicht Schrott andrehen lassen.
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